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ANSCHLAG IN KARNI
Allianz von Militanten bombt gegen Abbas' Friedenskurs
Nur vier Tage nach der Wahl von Mahmud Abbas zum Präsidenten haben sich drei bewaffnete palästinensische Gruppen zu einem Anschlag zusammengetan und sechs Israelis getötet. In ihrem Bekennerschreiben schwört die Allianz: "Dschihad und Widerstand werden weitergehen." Die Aussichten für Abbas' Verhandlungskurs mit Israel verdüstern sich.
micha hat geschrieben:Mahmud Abbas macht es nun haargenau so wie Arafat. Mit Versprechungen einer gemäßigten Linie und angeblichem guten Einfluss auf die Terrororganisationen werden Anschläge auf der Verhandlungsebene vorbereitet, indem der Gegner getäuscht und ein wenig in Sicherheit gewiegt wird. Terror und Arafat waren jedoch eins. Terror und Abbas sind ebenfalls eins. Das System dort ist so.
"Es ist aus mehreren Gründen nicht immer möglich, jedem Angriff auf Israel eine öffentliche Verurteilung folgen zu lassen, darunter die Tatsache, dass den Angriffen auf Israel manchmal sofortige israelische Reaktionen folgen, die nicht immer mit dem internationalen Recht vereinbar sind."
30. Januar 2006 Spiegel Online
NAHOST-KRISE
Hamas bittet Europa um Finanzhilfe
Die Drohungen der internationalen Gemeinschaft sorgen bei der Hamas für Unruhe. Wenige Stunden vor dem Beginn der Londoner Nahostkonferenz forderten die radikalen Islamisten, die Unterstützung für die palästinensische Autonomiebehörde nicht zu stoppen.
Gaza-Stadt - "Wir rufen sie auf, die Prioritäten des palästinensischen Volks in dieser Phase zu respektieren und die ideelle und finanzielle Unterstützung fortzusetzen", forderte Ismal Hanijeh, Spitzenkandidat der palästinensischen Hamas in Gaza-Stadt, die EU auf. Ziel müsse es sein, die Stabilität der Region zu fördern und nicht Spannungen zu verstärken oder Druck aufzubauen. Zugleich verlangte Hanijeh vom Nahost-Quartett aus EU, Uno, USA und Russland, ohne Vorbedingungen Gespräche mit der Hamas aufzunehmen.
Befürchtungen, die militante Bewegung könne nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl die finanzielle Unterstützung künftig für den bewaffneten Kampf gegen Israel nutzen, widersprach Hanijeh. Das gesamte Geld werde "für Gehälter, das tägliche Leben und die Infrastruktur verwendet", versicherte er. Ohne Hilfe aus dem Ausland stünde die Autonomiebehörde vor der Zahlungsunfähigkeit.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der radikal-islamischen Hamas zum Auftakt ihrer ersten Nahostreise gedroht, die EU-Finanzhilfen einzufrieren, falls sie als Teil einer künftigen Palästinenser-Regierung nicht der Gewalt abschwören und das Existenzrecht Israels anerkennen sollte. 2005 hatte die EU der Palästinenser-Regierung 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und damit einen wichtigen Teil zu deren Budget beigetragen.
Merkel wollte am Montagnachmittag Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas treffen, lehnt aber Gespräche mit den Hamas-Extremisten ab. Am Abend plante das Nahost-Quartett in London Beratungen über seine Reaktion auf den Hamas-Sieg.
Die Hamas wird von der EU, den USA und Israel als Terror-Organisation betrachtet. Die Extremisten kämpfen für eine Vernichtung Israels, fordern dessen Staatsgebiet als Teil eines Palästinenser-Staates und haben erklärt, auch als parlamentarische Kraft oder Mitglied einer Regierung ihre Waffen nicht niederzulegen.
30. Januar 2006 Spiegel Online
MOHAMMED-KARIKATUREN
Wütende Palästinenser stürmen EU-Büro
Die Proteste in der muslimischen Welt gegen Karikaturen des Propheten Mohammed in dänischen und norwegischen Zeitungen werden gewalttätig. Im Gaza-Streifen wurde ein EU-Büro gestürmt, die Hamas forderte zum Boykott dänischer Produkte auf.
Gaza/Kopenhagen - Bewaffnete Mitglieder der palästinensischen Al-Aksa-Brigaden besetzten das EU-Büro und forderten von Dänemark und Norwegen eine Entschuldigung. An der Erstürmung waren etwa 15 Extremisten beteiligt. Zehn Männer bezogen mit Handgranaten und Panzerfäusten bewaffnet Wache, bevor die Besetzung eine halbe Stunde später beendet wurde.
Die Extremisten verbrannten dänische Flaggen und drohten, keine Dänen und Norweger in den Gaza-Streifen einreisen zu lassen. Grund für die Unruhen sind umstrittene Karikaturen in skandinavischen Zeitungen: Eine der Zeichnungen zeigt Mohammed mit einem Turban in Gestalt einer Bombe samt brennender Zündschnur. Auf einer weiteren Zeichnung hat er ein Schwert in der Hand. Die Aarhuser Zeitung "Jyllands-Posten" hatte sie bereits am 30. September veröffentlicht, eine norwegische Zeitung druckte sie im Januar nach.
Bereits seit Tagen wird in mehreren islamischen Staaten dagegen protestiert, bis heute verliefen diese friedlich. Die Hamas forderte kurz nach der Erstürmung des EU-Büros alle Muslime auf, dänische Produkte zu boykottieren. "Die protestantische Gemeinde in Dänemark unterstützt diesen Rassismus unter dem Deckmantel der Pressefreiheit", teilte die Organisation mit, die am Mittwoch die Parlamentswahl in den Autonomiegebieten gewann.
Die dänische Lebensmittelkette Arla erklärte, der Boykott ihrer Produkte sei im Nahen Osten bereits nahezu komplett. Ihr Angebot sei aus den Regalen von Saudi-Arabien bis Katar verschwunden.
Die EU drohte Saudi-Arabien mit Sanktionen, sollte die Regierung den Boykott unterstützen. Handelskommissar Peter Mandelson teilte der Regierung in Riad mit, bei einer Unterstützung des Boykotts werde die EU die Welthandelsorganisation WTO einschalten.
Die Regierung in Riad habe beteuert, nicht zu dem Boykott aufgerufen zu haben, teilte Mandelsons Sprecher Peter Power mit.
Im Irak verübten Aufständische am Montag einen Sprengstoffanschlag auf einen dänisch-irakischen Militärkonvoi. Verletzt wurde dabei niemand. Die Koalitionsstreitkräfte leiteten Ermittlungen ein, ob der Angriff mit den Karikaturen zusammenhängen könnte, wie der britische Major Peter Cripps mitteilte. Im überwiegend von britischen Truppen kontrollierten Süden des Iraks sind rund 430 dänische Soldaten stationiert.
01. Februar 2006 Spiegel Online
ARABISCHE PRESSESCHAU
"Wasser auf die Mühlen des Extremismus"
Die Analyse des Berliner Middle East Media Research Institutes zeigt, dass die Veröffentlichtung der Mohammed-Karikaturen in der arabischen Presse zumeist heftig kritisiert wird. Die Zeichnungen beleidigten 1,5 Milliarden Muslime und seien nicht durch Meinungsfreiheit gedeckt, heißt es in den Kommentaren.
Berlin - Derlei beleidigende Angriffe auf ein Fünftel der Weltbevölkerung widersprächen allen internationalen Bemühungen um einen Dialog und Toleranz zwischen den Kulturen und Religionen und förderten lediglich den Extremismus, heißt es in einem Kommentar der in London erscheinenden panarabischen Tageszeitung "Al-Sharq Al-Awsat". Die Angriffe auf den Islam hätten "ein so gefährliches Ausmaß erreicht, dass sie im Rahmen des internationalen Rechts behandelt werden müssen".
Demokratie und Meinungsfreiheit dürften nicht dazu dienen, dass "gegen die Menschenrechte auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit verstoßen wird", schreibt das Blatt weiter. Gleichzeitig müsse die arabische Öffentlichkeit aber auch grundsätzlich deutlich machen, dass der Islam und die Muslime jegliche Beleidigung und Angriffe auf andere Religionen und Kulturen ablehnen würden.
Auch der Kommentator der saudischen Zeitung "Al-Jazeera" betont, dass es insbesondere nach dem 11. September 2001 darum gehe, das Bild des Islam in der Welt gerade zu rücken. Dazu müsse gegen solche Angriffe auf den Islam und die Muslime wie jene in "Jyllands Posten" entschieden vorgegangen werden. Es könne nicht angehen, dass in europäischen Medien Meinungsfreiheit gelte, wenn der Islam beleidigt würde, der Holocaust aber zum Beispiel nicht angezweifelt werden dürfe. Gefordert werden koordinierte Proteste auf höchster diplomatischer Ebene.
Auch der Chefredakteur der in London erscheinenden "Al-Quds Al-Arabi", Abd Al-Bari Atwan, versteht die Karikaturen als Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime. Er kritisiert die Verteidigung der Karikaturen und vergleicht dies mit dem Umgang mit Antisemitismus in Europa. Vor diesem Hintergrund begrüßt er die Proteste in der arabischen Öffentlichkeit und fordert die arabischen Regierungen auf, mit ähnlichen Maßnahmen auch gegen die US-Politik im Nahen und Mittleren Osten vorzugehen. "Zielgerichtete Beleidigungen wie diese sind Wasser auf die Mühlen des Extremismus. Sie vergiften die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen, stacheln zur Gewalt an und erleichtern es al-Qaida und anderen, zornige junge Männer für Racheakte gegen die westlichen Gesellschaften zu rekrutieren", schreibt Atwan.
Auf der bekannten liberalen arabischen Nachrichten-Website "Elaph" erschien ein Kommentar, der eine ganz andere Position einnimmt: Der Autor Baha Al-Musawi stellt die Frage, was die Araber und Muslime dazu beigetragen haben, dass ein solch schlechtes Bild vom Islam in der westlichen Öffentlichkeit entstanden ist. Vor allem angesichts des islamistischen Terrorismus kommt er zu dem Schluss, dass sich die Araber und Muslime eigentlich bei ihrem Propheten entschuldigen müssten, weil sie zugelassen haben, dass al-Qaida und andere das Bild des Islam so entstellen konnten.
"Unser Problem besteht doch immer wieder darin, dass wir das wir uns nur mit den Ergebnissen aber nicht mit den Ursachen beschäftigen. Immer sind es die anderen, die Fehler machen und wir haben recht [...] Als hätte Gott auf dieser Welt niemand außer uns geschaffen", schreibt Musawi. "Warum beschäftigen wir uns nicht mit dem wirklichen Problem, dass diesen kleinen Zeichner dazu bewegt hat, den Propheten Mohammed auf diese widerwärtige Art zu zeichnen? [...] Warum präsentieren wir nicht ein Bild von Mohammed als gläubigem, aufrichtigem und toleranten Menschen, anstatt dass wir Mohammed zu einem Bild von Bin Laden, einem Schwert, des Tötens, der Taliban, der Enthauptung und des Selbstmords verkommen lassen? [...] Wie können wir Blut vergießen, obwohl Mohammed das verboten hat?"
phw
01. Februar 2006
KARIKATUR-STREIT
Missverständnis im Namen des Propheten
Von Yassin Musharbash und Anna Reimann
Zwölf Mohammed-Zeichnungen, gedruckt in "Jyllands-Posten", bringen Millionen Muslime gegen Dänemark auf. Möglicherweise haben drei weitaus provokantere Bilder, die nichts mit der Zeitung zu tun haben, die Stimmung viel stärker angeheizt. Ausgerechnet dänische Muslime hatten sie in der arabischen Welt verbreitet.
Berlin - "Es besteht (in Dänemark) ein Klima, das dem Anstieg des Rassismus hilft", heißt es in der Einleitung zu einem 43 Seiten umfassenden Dossier, das eine Delegation dänischer Muslime im Winter 2005 mit auf die Reise in einige arabische Staaten mitnahm. Zum Beleg werden auch "Zeichnungen und Bilder" erwähnt, die den "Propheten verunglimpfen".
Als dieses Dossier verfasst wurde, tobte in Dänemark bereits ein Streit, wie weit Karikaturisten im Umgang mit den Glaubensvorstellungen anderer Religionen gehen dürfen. Ende September 2005 hatte die Tageszeitung "Jyllands-Posten" zwölf Karikaturen veröffentlicht, die den Propheten Mohammed zum Gegenstand hatten. Sie zeigten ihn unter anderem als Turbanträger, dessen Kopfbedeckung eine Bombe ist. Die Muslime in dem kleinen Land waren rasch über die Maßen empört: Zum einen, weil sie sich mit Terroristen gleichgesetzt fühlten, zum anderen, weil auch noch die zentrale Figur des Propheten betroffen war.
Das 43-Seiten-Papier war der Versuch einiger dieser Aufgebrachten, die Empörung in Worte zu fassen - und die Karikaturen zugleich als Beweis für die angebliche Islamfeindlichkeit Dänemarks zu verwenden. Unter Führung des Predigers Abu Laban reisten sie gleich mehrfach in die arabische Welt, um diese Botschaft zu verkünden. Sie trafen sich, wie der "Ekstra Bladet"-Journalist Kaare Quist SPIEGEL ONLINE sagte, mit Repräsentanten der Arabischen Liga, dem Obermufti von Ägypten und anderen "hochrangigen Gesprächspartnern". Diese Personen werden auch in dem Dossier als Gesprächspartner benannt.
Es wurde allerdings eine Reise der Missverständnisse: Denn nicht nur die zwölf inkriminierten Karikaturen aus der "Jyllands-Posten" wurden herumgezeigt; sondern auch zusätzliche Schmähzeichnungen, die ungleich heftiger und geschmackloser sind - und deren Herkunft unklar ist.
Muslime fühlten sich ignoriert
Kaare Quist zufolge, der seit Wochen an dieser Geschichte recherchiert, sind in dem Dossier zum Beispiel auch Karikaturen enthalten, die den Propheten als Pädophilen und als Schwein darstellen und einen betenden Muslim zeigen, der von einem Hund vergewaltigt wird. Diese eindeutig rassistischen Zeichnungen, ist Quist überzeugt, hätten die Aufregung in der arabischen Welt mit angeheizt - und den Skandal auf ein Niveau gehoben, das er sonst vielleicht nicht erreicht hätte. "Die Zeichnungen in der 'Jyllands-Posten' sind im Vergleich harmlos." Zuletzt spiegelte sich die Aufgeregtheit in unkoordinierten Boykottaufrufen gegen dänische Produkte, Hackerattacken auf den "Jyllands-Posten"-Server und der Drohung, arabische Botschafter aus Dänemark abzuziehen, wider.
Die Mitglieder der Delegation haben mittlerweile erklärt, die Extra-Karikaturen seien ihnen von anderen Muslimen zugeschickt worden. In der Aarhuser Zeitung "Stiftstidende" äußerte sich Ahmed Akkari, der die Reise der dänischen Muslime mit angeführt hat: In Dänemark sei der Protest der Muslime gegen die zwölf veröffentlichten Mohammed-Karikaturen einfach übergangen worden, sagte er. Weder die "Jyllands-Posten" noch die dänische Kultusministerin hätten sich zu den Vorwürfen geäußert. "Wir sind als Gruppe der Gesellschaft einfach ignoriert worden", sagte Akkari der Zeitung bereits am 16. Januar. Deshalb sei die Gruppe um den jungen Imam nach Kairo gereist und habe dort die Al-Azhar Universität aufgesucht. "Die Universität steht traditionell dafür, Brücken zwischen Europa und Ägypten zu schlagen", so Akkari.
Mit den drei zusätzlichen Zeichnungen, die Akkaris Truppe mit nach Ägypten gebracht hatte, habe man zeigen wollen, welchen Reaktionen Muslime, die sich mit Leserbriefen an die "Jyllands-Posten" gewandt hatten, ausgesetzt waren. Denn ebendiese Zeichnungen seien muslimischen Leserbriefschreibern mit der Post zugeschickt worden. Akkari betonte, dass diese drei Zeichnungen, die alle nicht in der "Jyllands-Posten" abgedruckt worden sind, "klar getrennt von den anderen gezeigt" wurden. "Sie lagen ganz hinten in unserer Mappe." Man habe dennoch zeigen wollen, dass Muslimen in Dänemark mit Hass begegnet werde. Ziel der Aufrüttelungsaktion sei es gewesen, eine Wiederholung des Falles Theo Van Gogh zu verhindern. Der niederländische Filmemacher war wegen seiner Kritik am Islam von einem Islamisten ermordet worden.
"Ich bin sprachlos"
Dem Journalisten Quist zufolge gab es auf der Reise aber noch andere Missverständnisse. So hätten ihm arabische Gesprächspartner bestätigt, sie hätten den Eindruck gewonnen, die Zeitung "Jyllands-Posten" sei Eigentum des dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen. Außerdem habe die Delegation vorgegeben, sie spräche für 200.000 dänische Muslime - es seien wohl eher 5000 bis 10.000, schätzt Quist.
Mitte-Rechts-Premier Rasmussen äußerte sich einem Bericht des "Brussels Journal" zufolge, dessen Vertrauenswürdigkeit schwer einzuschätzen ist und das heute mit der Unterzeile "We are all Danes now" erschien, empört über die Negativ-PR-Reise: "Ich bin sprachlos, dass diese Menschen, denen wir das Recht gegeben haben, in Dänemark zu leben, und wo zu leben sie sich freiwillig entschlossen haben, jetzt die arabischen Länder bereisen und Antipathie gegen Dänemark und die Dänen herbeiführen", soll er dem Internet-Magazin zufolge am 10. Januar gegenüber Journalisten gesagt haben.
"Ich glaube, dass diese Missverständnisse nicht beabsichtigt waren", erklärt "Ekstra-Bladet"-Journalist Quist nach seinen wochenlanger Recherche. "Aber meiner Meinung nach nutzen sie die Aufgeregtheiten auch aus."
Mittlerweile hat sich die Gruppe um Akkari dazu entschlossen, den Streit mit der dänischen Regierung und der "Jyllands-Posten" beizulegen. Wie die Internetausgabe der Zeitung bereits am 20. Januar meldete, habe die Gruppe, zu der Mitglieder von 29 muslimischen Organisationen gehören, eine Pressekonferenz abgehalten. "Wir strecken den anderen die Hand aus", hatte Akkari gesagt.
Neun Tage zuvor hatte Akkari auf der Internetseite des Dänischen Islamrats eine Entschuldigung für die Karikaturen gefordert: "Dänemark ist in Gefahr, nicht nur durch Menschen in Dänemark, sondern auch durch zornige Muslime in Pakistan, Somalia und dem Nahen Osten", so Akkari. Deshalb sei es wichtig, dass die Muslime in Dänemark um Verzeihung gebeten würden und damit vorbehaltlos Respekt gegenüber ihrem Glauben und ihrer besondere Persönlichkeit gezeigt werde. Und dennoch: Die öffentliche Entschuldigung der "Jyllands-Posten" wies Akkari heute als unzureichend zurück.
01. Februar 2006 Druckversion | Versenden | Leserbrief
MOHAMMED-KARIKATUREN
Meinungsfreiheit in Zeiten des Internets
Von Christian Stöcker
Die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung empört immer mehr Muslime - dabei liegt die Aktion Monate zurück. Nun verbreiten sich die Zeichnungen rasch im Internet, von keinem Zensor zu stoppen.
Brennende dänische Flaggen, wütende Kommentare in arabischen Zeitungen auf der einen Seite - eine mit zunehmendem Unverständnis reagierende westliche Öffentlichkeit auf der anderen: Innerhalb weniger Tage hat sich die Auseinandersetzung zwischen muslimischer Welt und dem aufklärerisch geprägten Westen dramatisch zugespitzt.
Anlass für die heftigen Emotionen ist eine Aktion der dänischen Zeitung "Jyllands Posten", die ursprünglich als eine Art Kultur-Test gedacht war: Wieviel Selbstzensur sich dänische Künstler mit Blick auf den Islam auferlegen, wollte die Redaktion wissen, als sie im September dazu aufrief, Karikaturen des Propheten Mohammed einzureichen. Alarmiert hatte die Journalisten, dass der Autor eines Buches über den Propheten partout keinen Illustrator finden konnte.
Das sei auf die Angst vor militanten Islamisten zurückzuführen, mutmaßten die Redakteure - bildliche Darstellungen Mohammeds sind im Islam verboten. Man wolle daher herausfinden, ob die Meinungsfreiheit in Dänemark noch stärker sei als die Angst vor Militanten, begründeten sie ihren Aufruf. In einer Demokratie müsse man in der Lage sein, "von Zeit zu Zeit Kritik einzustecken, oder zur Witzfigur werden", kommentierte der Kulturchef des Blattes seinerzeit.
"Jyllands Posten" veröffentlichte zwölf Karikaturen, etliche davon geschmacklos oder verletzend für gläubige Muslime: Etwa ein Mohammed mit Bombenturban samt brennender Zündschnur und einer, der noch qualmenden Selbstmordattentätern den Eintritt zum Himmel mit den Worten "Wir haben keine Jungfrauen mehr!" verwehrt. Das war im September 2005.
Schon seit spätestens Oktober 2005 waren einige dieser Karikaturen weltweit zugänglich - denn ein Forumsteilnehmer auf der konservativen US-Internetseite "Free Republic" hatte einige davon in einem Beitrag gepostet. Zu diesem Zeitpunkt hatten dänische Muslime schon heftig protestiert, in der Redaktion von "Jyllands Posten" waren Morddrohungen eingegangen, mehrere muslimische Länder hatten offiziellen Protest gegen die Veröffentlichung eingelegt.
Als eine norwegische Zeitung vor einigen Tagen die Karikaturen erneut nachdruckte, um "Jyllands Posten" im Kampf um die Meinungsfreiheit zu unterstützen, war der Proteststurm längst nicht verebbt, aber nun tobt er mit noch größerer Gewalt. Die Büros der "Jyllands-Posten" in Kopenhagen und im Westen Dänemarks wurden gestern Abend geräumt, nachdem ein Anrufer vor Bomben gewarnt hatte. Die Polizei durchsuchte die Gebäude, fand aber keine Sprengsätze. Im Internet riefen irakische Aufständische ihre Anhänger zu Anschlägen in Dänemark und Norwegen auf.
Sowohl der Chef von "Jyllands Posten" als auch der Chefredakteur der norwegischen Zeitung "Magazinet" sagten, sie würden bedauern, wenn die Zeichnungen Muslime beleidigt hätten. Der Kampf um die Meinungsfreiheit, den "Jyllands Posten" selbst angezettelt hat, scheint verloren. Er müsse "zutiefst beschämt zugeben, dass die anderen gewonnen haben", sagte "Posten"-Chefredakteur Carsten Juste in einem Interview mit "Berlingske Tidende".
Die umstrittenen Werke haben es inzwischen auf einige Titelseiten geschafft: Die "Welt" druckte heute eine der Karikaturen auf ihrer Seite Eins, andere weiter hinten im Blatt, die französische Zeitung "France Soir" übernahm ebenfalls einige der Zeichnungen. Auch die Online-Ausgabe der "Welt" zeigt inzwischen eine davon.
Immer mehr Seiten zeigen die Bilder im Netz. Nicht nur bei "Free Republic", sondern auch auf den Seiten des belgischen "Brussels Journal" und in verschiedenen Weblogs und Foren, in denen heiß über Meinungsfreiheit, Ehrverletzung und religiöse Toleranz diskutiert wird. Im Forum von SPIEGEL ONLINE ist eine heftige Diskussion entbrannt, mit einer bisher nicht gekannten Anzahl von Teilnehmern: In rund 24 Stunden haben die Leser über 1200 Einträge gepostet - soviel wie bei keinem anderen Thema zuvor.
SPIEGEL ONLINE hat bisher darauf verzichtet, die umstrittenen Karikaturen zu zeigen. Darüber sind die Leser geteilter Ansicht. Doch angesichts des Entführungsfalls im Irak und der Todesdrohung gegen die beiden deutschen Techniker will die Redaktion nichts unternehmen, was die Situation für die Geiseln verschlimmern könnte. Im Unterschied zu den deutschen und französischen Tageszeitungen, die die Karikaturen heute abdruckten, sind die Veröffentlichungen von SPIEGEL ONLINE auch im Irak unmittelbar zugänglich - mit unter Umständen dramatischen Konsequenzen für die festgehaltenen Deutschen.
01. Februar 2006
MOHAMMED-BILDER
Regierung ruft Dänen zur Ruhe auf
Im Streit um die Mohammed-Karikaturen warnt die Regierung in Kopenhagen vor einer weiteren Eskalation. Die Dänen sollten nicht muslimische Zuwanderer behelligen. Sein Land müsse es nun mit "nicht steuerbaren Kräften" aufnehmen, sagte Ministerpräsident Rasmussen.
Kopenhagen/Paris - "Es erfordert einen ganz besonderen Einsatz", um die Lage zu beruhigen, sagte Anders Fog Rasmussen heute. Er warnte vor allen Aktionen gegen muslimische Zuwanderer in Dänemark. Das Fernsehen berichtete von per SMS verbreiteten Boykottaufrufen gegen islamische Geschäfte in Dänemark, hinter die sich auch zwei prominente Abgeordnete der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DVP) stellten. Diese agiert parlamentarisch als Mehrheitsbeschaffer für die Minderheitsregierung von Rasmussen.
Die Polizei in Kopenhagen bereitete sich auf anti-muslimische Proteste vor. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Ritzau könnten Jugendliche dort versuchen, Koran-Exemplare öffentlich zu verbrennen.
Nicht auszuschließen ist aber auch eine weitere Eskalation, die sich gegen Dänen richtet. Eine von tschetschenischen Rebellen mehrfach als Sprachrohr genutzte Website soll heute eine dem tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew zugeschriebene Erklärung veröffentlicht haben, in der dieser die in "Jyllands-Posten" veröffentlichten Zeichnungen als "Beleidigung von Muslimen in der ganzen Welt" bezeichnete. "Wir müssen diese Gelegenheit nutzen, um unseren Propheten, den Islam und Muslime zu verteidigen", hieß es in dem Text, dessen Echtheit zunächst nicht geklärt werden konnte. Über entsprechende "Maßnahmen" solle beraten werden.
Für strenggläubige Muslime ist jede bildliche Darstellung Mohammeds verboten. Der Chefredakteur von "Jyllands-Posten", Carsten Juste, hatte die Veröffentlichung der Karikaturen bereits bedauert. Von seiner Zeitung völlig unbeabsichtigt hätten die Zeichnungen "unbestreitbar viele Muslime verletzt, wofür wir uns entschuldigen", erklärte Juste.
In einem Interview mit der Zeitung "Berlingske Tidente" sagte Juste, er befürchte, dass nach diesen Protesten niemand in der nächsten Generation in Dänemark mehr eine Zeichnung von Mohammed anfertigen werde. "Sie haben gewonnen", sagte er. Hätte er geahnt, was die Karikaturen für Konsequenzen haben, hätte er sie niemals veröffentlicht, sagte Juste.
Die islamische Glaubensgemeinschaft in Dänemark akzeptierte die Entschuldigung nicht und wies sie als unzureichend zurück. Die Büros der "Jyllands-Posten" in Kopenhagen und im Westen Dänemarks mussten gestern geräumt werden, nachdem ein Anrufer vor Bomben gewarnt hatte. Im Internet riefen irakische Aufständische ihre Anhänger zu Anschlägen in Dänemark und Norwegen auf.
In Indonesien verurteilte der Generalsekretär des Rats der muslimischen Gelehrten, Ischwan Sam, die Karikaturen als Ausdruck "westlicher Arroganz". Diese Beleidigung religiöser Symbole anderer Glaubensrichtungen sei ein Zeichen von "Dummheit", sagte Sam der amtlichen Nachrichtenagentur Antara. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, "Meinungsfreiheit" könne keine Entschuldigung sein. Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) erklärte, alle europäischen Länder müssten sich hinter die Dänen stellen, um die Grundsätze der Pressefreiheit zu verteidigen.
"Jyllands-Posten" hatte die Karikaturen unter der Überschrift "Die Gesichter Mohammeds" Ende September veröffentlicht. Zeitungen in Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen und Spanien druckten die umstrittenen Zeichnungen ganz oder teilweise nach. Die Karikaturen zeigen unter anderem einen Propheten mit einem Turban in Form einer Zeitbombe. Eine andere Zeichnung zeigt Mohammed, der muslimische Selbstmord-Attentäter im Paradies mit den Worten empfängt: "Stopp, stopp, wir haben keine Jungfrauen mehr!"
hen/AFP/AP
01. Februar 2006
STREIT UM MOHAMMED-KARIKATUREN
Islamisten rufen zu Attacken gegen dänischen Zeitungsserver auf
Von Yassin Musharbash
Aus Wut über die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed wollen Islamisten mit Netz-Attacken den Server der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" lahmlegen. In Diskussionsforen im Internet kursieren Links zu einer arabischen Anleitung für einen solchen Cyber-Angriff.
Berlin - "Brüder, heute werden wir, mit Gottes Erlaubnis, damit beginnen, die Website der dänischen Zeitung lahmzulegen, die sich über unseren ehrenwerten Propheten lustig gemacht hat": Mit diesen Worten beginnt eine arabischsprachige Anleitung für eine Attacke gegen den Server der Tageszeitung "Jyllands-Posten". Das Blatt hat Muslime auf der ganzen Welt dadurch verärgert, dass es eine als beleidigend empfundene Serie von Karikaturen abgedruckt hat, in der der Prophet Mohammed im Vordergrund steht.
Das Ziel der Cyber-Aktivisten ist es, den Server durch eine "distributed denial of service"-Attacke in die Knie zu zwingen. Das bedeutet, dass der Server durch möglichst viele gleichzeitige Aufforderungen, zu "pingen", also sich zu melden und seine Existenz zu bestätigen, überlastet werden soll. In der arabischen Anleitung, die offensichtlich spontan zusammengestellt wurde, werden "vier Wege" zu diesem Ziel beschrieben.
Am einfachsten sei es, "die Seite mindestens drei Mal aufzurufen und immer wieder zu aktualisieren". Die Wege zwei bis vier befassen sich damit, den Server möglichst effektiv zum "pingen" zu bringen - die dazu notwendige IP-Adresse des Rechners liefern die Islamisten gleich mit. Auch auf Möglichkeiten, zwei Programme herunterzuladen, die den Plan effektiver machen sollen, wird verwiesen.
Gehässige Kommentare im Netz
Auch in islamistischen Diskussionsforen, etwa "al-Hisba", das von vielen Qaida-Sympathisanten frequentiert wird, brach sich die Wut über die Karikaturen Bahn. "Die deutsche Zeitung 'Die Welt' hat keinen anderen Weg gefunden, sich mit dem Thema der Bilder vom Propheten zu befassen, als diese Bilder zu verbreiten - auf ihrer Titelseite!", schrieb ein wütender Teilnehmer. "Wir müssen ihnen Widerstand entgegensetzen, dem ganzen Westen", lautete die Antwort eines anderen Diskutanten.
"Möge Gott ihre Häuser zusammenstürzen lassen", schrieb ein weiterer Kommentator. Auch von "französischen Hunden" war die Rede, weil die Zeitung "France Soir", genau wie "Die Welt", einige der Karikaturen nachgedruckt hatte.
02. Februar 2006
KARIKATUR-NACHDRUCK
Chefredakteur von "France Soir" gefeuert
Wegen des Nachdrucks der Karikaturen des Propheten Mohammed ist der Chef der französischen Boulevardzeitung "France Soir" entlassen worden. Der ägyptischstämmige Zeitungs-Besitzer entschuldigte sich für die Veröffentlichung.
02. Februar 2006
KARIKATUREN-STREIT
Frankreich fürchtet neue Unruhen in den Banlieues
Von Kim Rahir, Paris
Der Karikatur-Streit spaltet Frankreich: "Voltaire hilf, sie sind verrückt geworden!" titelte "France Soir" heute. Kurz nach Redaktionsschluss wurde der Chefredakteur des Blattes vom franko-ägyptischen Verleger entlassen. In Paris grassiert Angst vor neuen Unruhen.
Paris - In der Nacht zum Donnerstag hatte "France Soir"-Verleger Raymond Lakah genug. Kurz vor Mitternacht feuerte er den Chefredakteur Jacques Lefranc, der demonstrativ die umstrittenen Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. In einer knappen Mitteilung äußerte der franko-ägyptische Geschäftsmann sein "Bedauern gegenüber der muslimischen Gemeinde und allen Menschen, die durch diese Veröffentlichung geschockt oder entrüstet wurden".
Was Lakah nicht mehr verhindern konnte: Sein Blatt erschien auch heute noch einmal mit einer provokativen Titelzeile: "Voltaire hilf, sie sind verrückt geworden!" stand in großen Lettern auf Seite eins. Die Zeitung kommentiert ganz im Sinne der Linie ihres Noch-Chefredakteurs: "Könnte man sich eine Gesellschaft vorstellen, die sich an die Verbote aller Kulte hielt? Wo bliebe die Gedankenfreiheit, die Freiheit der Rede oder auch nur des Kommens und Gehens? Solche Gesellschaften kennen wir zur Genüge. Zum Beispiel der Iran der Mullahs ... Der Fanatismus nährt sich nur aus der Kapitulation der Republikaner und Laizisten. Man weiß, zu welchen Niederlagen solch ein Geist von München führt."
Die Karikaturen waren zuvor schon in norwegischen und dänischen Zeitungen erschienen und sorgen seither in der islamischen Welt für heftige Reaktionen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, warf der europäischen Presse vor "mit zweierlei Maß zu messen - einerseits fürchtet sie den Vorwurf des Antisemitismus, andererseits beruft sie sich auf die Pressefreiheit, wenn es darum geht, den Islam zu karikieren".
Angesichts einer solchen Reaktion mutete die Titelseite von "France Soir" vom Mittwoch geradezu trotzig an: "Ja, wir haben das Recht, Gott zu karikieren", heißt es dort neben den künstlerisch eher wertlosen Zeichnungen, die Mohammed unter anderem mit einem Bombenturban zeigen. Doch während die verantwortlichen Journalisten in Dänemark oder Norwegen keine drastischen Konsequenzen zu fürchten haben, musste "France Soir"-Chefredakteur Jacques Lefranc seinen Hut nehmen. Denn in Frankreich, wo fast fünf Millionen Muslime leben, wird mit der Religion im Allgemeinen und mit dem Islam im Besonderen nicht ohne Gefahr gescherzt.
Dabei ist das Thema Religion in Frankreich nicht erst seit dem Aufkommen des islamischen Fundamentalismus so heikel. Ursprung der Empfindsamkeiten ist vielmehr ein zäher Machtkampf zwischen der laizistischen Republik und der katholischen Kirche, der in der strikten Trennung von Kirche und Staat vor hundert Jahren endete und die Gesellschaft in zwei Lager spaltete. Die einen wollen die Religion als völlige Privatsache aus dem öffentlichen Leben fernhalten, für die anderen gehört sie zu den Fundamenten des Gemeinwesens dazu.
Das jüngste Schlachtfeld dieser beiden Lager war die Frage der "religiösen Symbole" in der republikanischen Schule, die in ein Gesetz zum Kopftuchverbot mündete, das konsequenterweise auch das ostentative Tragen von Kreuzen verbietet. Diese Zweiteilung des Landes, wenn es um Fragen der Religion geht, zeigte sich nach dem Erscheinen der Mohammed-Karikaturen umgehend in den Pressekommentaren: Pressefreiheit riefen die einen, Respekt vor dem Glaubensbekenntnis die anderen.
"Vielleicht muss noch einmal daran erinnert werden, dass die Pressefreiheit umfassend ist, solange sie die Gesetze respektiert", schreibt die "République des Pyrénées". "Jeder hat in Frankreich das Recht, die Religionen zu kritisieren. Die Gotteslästerung ist sogar offiziell erlaubt." Andere dagegen fürchten um die Empfindsamkeit der anderen Kulturen. "Hat denn niemand versucht herauszufinden, ob in dieser anderen Kultur, der unumgänglichen arabisch-muslimischen Zivilisation, ein solches Vorgehen einfach als grausame Provokation aufgefasst wird?", fragt der Kommentator des "Le Courrier Picard".
Auch konservative Politiker wurden auf den Plan gerufen und äußerten ihre Besorgnis angesichts der Entlassung von Chefredakteur Lefranc. "Dieser islamische Fundamentalismus, diese Intoleranz sind äußerst gefährlich, äußerst schlimm", sagte der frühere Kulturminister François Fillon. Doch andere befürchten eine heftige Reaktion der islamischen Welt und der französischen Muslime auf die Karikaturen. Schon das Erscheinen der Zeichnungen in den skandinavischen Ländern hatte Entrüstung ausgelöst: In einigen Golfstaaten werden dänische Produkte seither boykottiert.
Seit Mittwoch werden auch die Franzosen ins Visier genommen: Radikale Palästinensergruppen im Gaza-Streifen drohten, sie würden Franzosen, Dänen und Norweger angreifen. In Tunesien wurde die Mittwochsausgabe von "France Soir" beschlagnahmt, eine marokkanische Zeitung verlangte, das Blatt müsse "bestraft" werden. Die Sorge, dass die Kinder und Enkel maghrebinischer Einwanderer in den französischen Vorstädten angesichts dieser journalistischen "Gotteslästerung" wieder brandschatzend durch die Straßen ziehen, mag Verleger Lakah bei seiner Entscheidung bestärkt haben.
Denn hier liegt ein weiterer Grund, warum mit den Empfindsamkeiten der muslimischen Gemeinde in Frankreich nicht locker umgegangen wird. Die meisten Muslime in Frankreich haben nicht nur die Religion gemeinsam, sondern auch ihre soziale Stellung und ihre Familiengeschichte. "Die Frage des Islam in Frankreich ist nicht nur eine religiöse Frage, sondern sie ist auch sozial und politisch. Sie hat etwas mit Diskriminierung und Rassismus zu tun", schreibt das Magazin "Le Nouvel Observateur" in dieser Woche.
Frankreichs muslimische Gemeinde setzt sich größtenteils aus maghrebinischen Einwanderern zusammen samt deren Kindern und Enkeln. Sie sind es, die in den Ghetto-artigen Vorstädten leben. "Sie sind in unserem Land die Hauptopfer von Diskriminierung und rassistischen Angriffen", sagt die Politologin Nonna Mayer zu SPIEGEL ONLINE.
Einer im Januar erschienenen Studie zufolge haben sie zwar nicht mehr radikal-religiöse Tendenzen als nicht-muslimische Franzosen, doch der Islam bleibt für diese Menschen ein Wegweiser "auf der Suche nach einer Identität". Und wenn der Islam attackiert oder lächerlich gemacht wird, dann wird das von den Menschen dieser sozial ausgegrenzten Schichten als weiterer Angriff auf das ohnehin magerere Selbstvertrauen gewertet. So berichtet der "Nouvel Observateur" von einem jungen Mann in Nizza, der sich als Atheist bezeichnet: "Doch wenn der Bürgermeister den Bau einer Moschee verweigert, da werde ich sofort zum Muslim", so der junge Said.
Angesichts der weiterhin explosiven Stimmung in den Vorstädten macht sich Nervosität breit. In einer am Montag veröffentlichten Umfrage äußerten 86 Prozent der befragten Franzosen die Einschätzung, dass die Gewalt in den desolaten Wohnghettos der Vororte jederzeit wieder ausbrechen könnte.
Die Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" veröffentlichte heute einen Aufruf zu Mäßigung und Dialog. Sie rief "die politischen und religiösen Würdenträger der islamischen Staaten und die Presse der arabischen Welt dazu auf, die Gemüter zu beruhigen". Doch der Appell kommt möglicherweise zu spät: Im Irak werden symbolisch dänische Fahnen zertreten und verbrannt und Ägyptens Präsident Husni Mubarak legte heute den Finger zielstrebig auf die Wunde: "Wenn das so weiter geht (die Veröffentlichung der Karikaturen, d. Red.), dann wird das gefährliche Folgen haben und die Gefühle sowohl in der islamischen Welt als auch bei den Muslimen in Europa aufheizen."
03. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
Annan mahnt Respekt der Religionen an
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sich am Donnerstag besorgt wegen des Streits über die Mohammed-Karikaturen geäußert.
Nablus - Die Pressefreiheit müsse den Glauben aller Religionen respektieren, erklärte Annan nach Angaben seines Sprechers Stéphane Dujarric. Missverständnisse und Abneigungen müssten durch friedlichen Dialog und gegenseitigen Respekt überwunden werden. Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" hat sich bei den Muslimen entschuldigt, die sich durch die Zeichnungen beleidigt fühlten.
AFP
02. Februar 2006
NAHOST
Deutscher in Nablus entführt und wieder freigelassen
Im Westjordanland ist ein Deutscher entführt worden. Bereits kurze Zeit später war der Mann wieder auf freiem Fuß. Militante Palästinenser hatten heute im Streit über Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen Gewalttaten gegen Ausländer angedroht.
Nablus - Der deutsche Staatsbürger sei von zwei maskierten Männern in der Stadt Nablus entführt worden, teilte die Brigaden der Märtyrer von al-Aksa mit. Sie hätten den Mann für einen Dänen oder Franzosen gehalten. Nach knapp einer Stunde sei er der palästinensischen Polizei übergeben worden.
Die zwei Männer hätten mit der Entführung ihren Protest gegen die Veröffentlichung der Karikaturen des Propheten ausdrücken wollen, sagte der Vertreter der Brigaden der Märtyrer von al-Aksa. Der Mann machte keine Angaben dazu, ob die Täter Mitglieder dieser Gruppe waren. Nach Polizeiangaben sind die Entführer festgenommen worden.
Ein Hotelmitarbeiter hatte am Abend von der Entführung berichtet. Er hatte gesehen, wie bewaffnete Palästinenser in das Hotel gestürmt seien und den Deutschen mitgenommen hätten. Den Namen des Mannes gab er mit Christoph an. Die palästinensische Polizei hatte in Nablus umgehend mit der Suche nach dem Verschleppten begonnen.
Das Auswärtige Amt in Berlin konnte den Entführungsfall bisher nicht bestätigen. Das deutsche Vertretungsbüro in Ramallah sei eingeschaltet worden, sagte ein Außenamtssprecher. Die Bundesregierung bemühe sich um Klärung des Sachverhaltes.
Die Brigaden der Märtyrer von al-Aksa sind eine bewaffnete Gruppe aus dem Umfeld der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Die Brigaden und das Komitee für den Volkswiderstand hatten Europäern heute wegen der Karikaturen mit Gewalt gedroht. Jeder Däne, Norweger und Franzose in den Palästinensergebieten sei "eine Zielscheibe", hieß es in der Erklärung. Die Gruppen forderten von Dänemark, Norwegen und Frankreich innerhalb 48 Stunden eine Entschuldigung. ler/AFP/AP/reuters
03. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
Muslime stürmen Dänemarks Botschaft in Jakarta
Die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen haben jetzt auch Südasien erreicht. Muslimische Demonstranten drangen heute in die dänische Botschaft in Indonesiens Haupstadt Jakarta ein und verbrannten die Flagge Dänemarks. Ein einflussreicher sunnitischer Scheich hat den Freitag zum "internationalen Tag des Zorns" aufgerufen.
Jakarta - Die rund 70 Demonstranten verbrannten nicht nur die dänsiche Fahne, sondern bewarfen auch das Botschaftsgebäude mit Eiern. "Wir sind keine Terroristen, wir sind keine Anarchisten, aber wir sind gegen Leute, die den Islam beleidigen", riefen die Demonstranten. Sie gehören einer Partei an, die für die Einführung des islamischen Rechts im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt eintritt.
Gestern hatten Mitglieder der Islamischen Verteidiger-Front gegen die Veröffentlichung einer der Mohammed-Karikaturen in einer indonesischen Zeitung protestiert. In Katar rief der einflussreiche sunnitische Scheich Jussef al-Kardawi den Freitag zu einem "internationalen Tag des Zorns" aus, da Zeitungen "in anderen Ländern" die Karikaturen nachdruckten.
Die Veröffentlichung von zwölf den Propheten Mohammed darstellenden Karikaturen in einer dänischen Zeitung hat in der islamischen Welt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Dänische Waren werden boykottiert, und es hat Bombendrohungen gegen dänische Einrichtungen gegeben. Der heutige Protest in Jakarta war der erste in Indonesien. als/ap
Führende deutsche Politiker äußerten sich unterdessen zunehmend kritisch zu den Mohammed-Karikaturen. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) mahnte im Bayern2Radio zur Zurückhaltung. "Ich denke, man sollte in dieser Situation Rücksicht nehmen auf Gefühle von anderen, auch auf religiöse Traditionen." Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele wies im Nachrichtensender N24 darauf hin, dass man sich die "Risiken" überlegen sollte, "bevor man solche Karikaturen veröffentlicht".
03. Februar 2006
MOHAMMED-CARTOONS
Jordanischer Chefredakteur wagt Abdruck der Karikaturen - und fliegt
Von Yassin Musharbash
Der Chefredakteur der jordanischen Zeitung "Shihan" ließ drei der heiß umstrittenen Mohammed-Cartoons drucken und stellte in seinem Kommentar die Frage: Was ist schlimmer? Solche Bilder oder Selbstmordanschläge? Seine Herausgeber antworteten mit seiner sofortigen Entlassung.
Berlin - "Ich habe keine Ahnung, warum der Chef die Bilder drucken ließ", sagte ein Redakteur der Wochenzeitung "Shihan" heute SPIEGEL ONLINE, der lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Dass es Probleme geben würde, wenn man in Jordanien drei der zwölf umstrittenen Mohammed-Karikaturen veröffentlicht - damit habe man schließlich rechnen können. In der Tat: Das kleine Königreich ist islamisch geprägt, der Regent gar ein leiblicher Nachfahre des Propheten Mohammed.
Nur wenige Stunden lang war denn auch die gestrige Ausgabe des Boulevard-Magazins "Shihan" zu kaufen. Dann reagierten die alarmierten Herausgeber: Sie zogen die gesamte Auflage von rund 36.000 Exemplaren ein, entließen Chefredakteur Jihad Momani und kündigten eine Untersuchung an. Auf ihrer Website bezogen sie heute eindeutig Stellung: Die Veröffentlichung der Zeichnungen durch die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" im September 2005 sei "ein Ausdruck der kolonialen-zionistischen Feindschaft gegen die Gemeinschaft der Araber und Muslime". Das alles sei nicht ohne "den Raubzug und die Besatzung (...) in Palästina und im Irak" zu denken. Der Prophet Mohammed, der hier herabgewürdigt werde, sei im Übrigen ein Symbol nicht nur für den Islam, sondern auch für die arabische Nation und ihre Zivilisation insgesamt. Niemals hätten die Bilder im eigenen Blatt erscheinen dürfen: "Einmal mehr bringt die Firma (...) hiermit ihre scharfe Ablehnung (...) zum Ausdruck."
Als die Bilder gestern in "Shihan" erschienen, hatte der Ton des mittlerweile geschassten Chefredakteurs noch anders geklungen. Zwar machte auch er keinen Hehl aus seiner Abscheu gegenüber den Zeichnungen und erklärte, er wolle nur das Ausmaß der dänischen Angriffe zeigen. Aber er warf in seinem mit "Muslime dieser Welt, reagiert vernünftig" überschriebenen Begleit-Kommentar auch selbstkritische Fragen auf. So wies Momani etwa darauf hin, dass die "Jyllands-Posten" sich längst entschuldigt habe - aber "aus irgendeinem Grund will niemand in der muslimischen Welt diese Entschuldigung hören". Noch weitreichender war der folgende Einwurf: "Wer beleidigt den Islam eigentlich mehr? Ein Ausländer, der den Propheten (...) darstellt (...), oder ein Muslim, der mit einem Sprengstoffgürtel bewaffnet auf einer Hochzeitsfeier in Amman ein Selbstmordattentat durchführt (...)?"
"Besser, er hätte es gelassen"
Diese Frage hätte der Ausgangspunkt einer interessanten Debatte sein können. Aber so weit kam es nicht, denn augenblicklich prasselte ein Wutgewitter auf Momani nieder. Ein Regierungssprecher verurteilte die Veröffentlichung umgehend als "großen Fehler" und verlangte eine Entschuldigung. Mittlerweile steht sogar die Überlegung im Raum, die Zeitung zu schließen. Rechtliche Schritte gegen den Redaktionsleiter werden von allen Seiten geprüft. "Auch damit ist zu rechnen gewesen", sagte der jordanische Journalist Fuad Hussein zu SPIEGEL ONLINE. Hussein hat selbst die Erfahrung gemacht, dass man wegen unliebsamer Berichterstattung Ärger bekommen kann, auch wenn Jordanien in Sachen Pressefreiheit im Vergleich zu anderen arabischen Staaten einen Vorsprung hat. Hussein war Mitte der Neunziger Jahre für Wochen im Gefängnis gelandet, weil er die jordanische Regierung für die Erhöhung der subventionierten Brotpreise kritisiert hatte.
Der gefeuerte Chefredakteur Mamoni hielt dem Kreuzfeuer der Kritik jedenfalls nicht Stand. Er veröffentlichte gestern Abend eine Erklärung: "Ich bitte Gott um Vergebung und die Menschen, meine Entschuldigung zu akzeptieren", zitiert ihn heute die "Jordan Times".
Das von SPIEGEL ONLINE befragte Redaktionsmitglied von "Shihan" beteuerte unterdessen, Momani sei ein sehr frommer und national eingestellter Mensch - weder habe er aufwiegeln, noch billig für Auflage sorgen wollen. "Er steht der königlichen Familie nahe", sagte der Mann - das bürgt an sich für eine gewisse Vorsicht. Grundsätzlich habe das Blatt, Jordaniens erste Wochenzeitung, "vor nichts Angst". Aber dass Momani mit dem Abdruck ein Tabu brach, sei wohl unbestreitbar: "Es wäre besser gewesen, er hätte es gelassen". In den kommenden Tagen erhofft sich auch die Redaktion mehr Klarheit darüber, was der Ex-Chef bezweckt hatte und wie genau es zu dem Skandal im Skandal kam.
Boykottaufrufe gegen Dänemark
Jordanien ist moderates islamisches Land, auch wenn der im Irak aktive Qaida-Terrorist Abu Musab al-Sarkawi aus dem armen Königreich stammt und dort über Anhänger verfügt. Der junge König Abdallah II. bürgt wie sein verstorbener Vater Hussein für eine moderate, friedliebende Islaminterpretation, die in nichts mit dem wahhabitischen Staatsislam Saudi-Arabiens vergleichbar ist und auch auf den Ausgleich zwischen muslimischer Mehrheit und christlicher Minderheit achtet. Gestern sah der König sich genötigt, von Washington aus in die schwelende Diskussion einzugreifen. Er verurteile die "unnötige Beleidigung islamischer Sensibilitäten", erklärte er mit Bezug auf die dänischen Karikaturen. Die Reaktionen in Jordanien zeigen, dass längst nicht nur Islamisten sich beleidigt fühlen.
Die Tageszeitung "al-Ghad" brachte dieses Gefühl in einer eigenen Karikatur gestern auf den Punkt: Die von ihrem Zeichner Emad Hajjaj gezeichnete Bilderserie zeigt einen Redakteur der "Jyllands-Posten" beim Prüfen von Karikaturen. Eine Karikatur, auf der ein Hakenkreuz mit einem Davidsstern gleich gesetzt wird, verwirft er mit den Worten "Das ist anti-semitisch". Eine zweite, die einen Schwarzen zeigt, schafft es nicht ins Blatt, weil sie "rassistisch" ist. Erlaubt aber sind bei der "Jyllands-Post" der Karikatur zufolge "Zeichnungen, die sich über den Propheten lustig machen": Eine ganze Serie von Mohammed-Karikaturen hat der Phantasie-Redakteur schon zum Druck frei gegeben. Wer die Originale aus Dänemark kennt, erkennt sie hier skizzenhaft angedeutet und unter Auslassung des Propheten-Gesicht wieder.
Im Gegensatz zu anderen islamischen Staaten wie Indonesien oder Jemen hat es in Jordanien bislang noch keine Demonstrationen oder gar Ausschreitungen wegen der Karikaturen-Affäre gegeben. Aber "an den Supermärkten stehen überall Schilder, auf denen Boykotte gegen dänische Waren verkündet werden", berichtete eine Deutsche, die seit 25 Jahren in Jordanien lebt, heute SPIEGEL ONLINE. Und in der Hauptstadt Amman waren Gerüchte zu hören, dass eine Kundgebung vor dem dänischen Konsulat in Vorbereitung sei.
Es sieht danach aus, als würde Mamonis Frage bis auf Weiteres auch in Jordanien unbeantwortet bleiben.
03. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
USA unterstützen Moslems
Die USA haben den Abdruck von Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen verurteilt. Damit stellte sich die Regierung in Washington hinter die zahlreichen Kritiker aus moslemischen Ländern.
Washington - Diese Karikaturen seien für moslemische Gläubige wirklich verletzend, sagte US-Außenamtssprecher Justin Higgins heute in Washington. Die Pressefreiheit müsse mit Verantwortung ausgeübt werden, fügte Higgins hinzu. Es sei nicht akzeptabel, in dieser Weise religiösen und ethnischen Hass hervorzurufen. Die US-Regierung setzt sich nach Higgins' Worten für "Toleranz und Respekt für alle Gemeinschaften" ein.
In London beteiligten sich mehrere hundert Moslems an einer Protestkundgebung gegen die Veröffentlichung der Karikaturen. "Nieder mit dem Vereinigten Königreich", riefen die Demonstranten. "Wir unterstützen Bin Laden." Ein Demonstrant forderte, wer den Propheten beleidige, solle "enthauptet werden". Ein anderer sagte, die Meinungsfreiheit solle "zur Hölle fahren".
04. Februar 2006
MOHAMMED-CARTOONS
Palästinenser greifen deutsche Vertretung in Gaza an
Die Auseinandersetzungen um die dänischen Mohammed-Karikaturen werden schärfer: Wütende Palästinensern attackierten heute in der Stadt Gaza die deutsche Vertretung und das EU-Kommissionsbüro. Bundeskanzlerin Merkel verurteilte die Gewalttaten, UN-Generalsekretär Annan rief zur Versöhnung auf.
Gaza - Rund zwei Dutzend palästinensische Demonstranten stürmten auf das deutsche Kulturzentrum in Gaza ein, brachen Türen und Fenster ein und setzten die deutsche Flagge in Brand. Andere warfen Steine auf das nahe gelegene Gebäude der EU.
Die Polizei drängte die Menge zurück. Etwa 50 Schüler versuchten anschließend, die beiden Gebäude erneut anzugreifen. Sicherheitskräfte griffen ein, die Jugendlichen flohen. Das Auswärtige Amt bemühte sich nach Angaben eines Sprechers, Einzelheiten des Vorfalls zu klären. Die Außenstelle in Ramallah stehe mit den palästinensischen Behörden in Kontakt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Gewalttaten nach der Veröffentlichung der Karikaturen scharf. Sie könne zwar verstehen, dass durch die Karikaturen die religiösen Gefühle von Moslems verletzt würden, erklärte sie auf der Sicherheitskonferenz in München. Dies sei jedoch keine Legitimation für die Anwendung von Gewalt, sondern müsse öffentlich diskutiert werden. Die Pressefreiheit sei ein unerlässlicher Bestandteil der Demokratie, und auch die Religionsfreiheit sei ein hohes Gut. Sie habe den Eindruck, dass dies die gemeinsame Position in der Europäischen Union sei. "Insofern muss sich Dänemark an dieser Stelle nicht verlassen fühlen", so die Kanzlerin.
Auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein betonte die Bedeutung der Meinungsfreiheit in Deutschland betont. "Sie ist eines unserer vornehmsten Grundrechte. Die Medien müssen genau abwägen, wie weit sie gehen können, ohne fremde Gefühle zu verletzen und welche möglichen Folgen damit verbunden sind", sagte der CSU-Politiker der "Passauer Neuen Presse". Er sehe deshalb keinen Grund, warum sich Dänemark bei Regierungen islamischer Länder entschuldigen solle. Ob eine Redaktion für den Abdruck um Entschuldigung bitten wolle, müsse sie selbst entscheiden.
UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte bereits gestern die islamische Gemeinschaft zur Versöhnung aufgerufen. Er teile zwar die Gefühle der Moslems, die die Bilder als verletzend empfänden, dennoch rufe er sie zur Vergebung auf, sagte Annan am Freitag in New York. Es sei wichtig, dass die dänische Zeitung "Jyllands-Posten", die die satirischen Zeichnungen als erste abgedruckt hatte, sich entschuldigt habe. Die moslemischen Gläubigen sollten diese Entschuldigung annehmen und nach vorne schauen. Es gehe nicht an, dass Dänemark oder Europa als Ganzes für das Handeln einzelner bestraft würden.
Vorsitzende der Bischofskonferenz Lehmann kritisiert Karikaturen
Der Chef-Diplomat der Europäischen Union (EU), Javier Solana, rief im Zusammenhang mit den gewaltsamen Unruhen zu mehr Toleranz auf: "Toleranz und gegenseitiger Respekt spielen eine ebenso große Rolle wie das Prinzip der Meinungsfreiheit", sagte Solana der "Bild am Sonntag". "Ich befinde mich im ständigen Kontakt mit Führungspersönlichkeiten islamischer Länder und mit arabischen Regierungen. Ich versuche, die Situation zu beruhigen und rufe zu gegenseitigen Dialog und Respekt auf."
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, äußerte scharfe Kritik an den Karikaturen. "Zu den Grundlagen des Zusammenlebens gehört die Achtung vor dem religiösen Bekenntnis anderer Menschen", sagte der Kardinal dem Blatt. Karikaturen würden dann problematisch, wenn sie an den Kern eines religiösen Bekenntnisses rührten. Dies sei nach Überzeugung vieler Muslime mit den Karikaturen verletzt worden.
Der Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, Udo Steinbach, wirft dem Westen im Zusammenhang mit dem Konflikt sogar Arroganz vor. Die Anzahl der Menschen in der islamischen Welt, die dem Westen kritisch gegenüber stünden, werde größer, sagte Steinbach der in Cottbus erscheinenden "Lausitzer Rundschau". Dazu trage dieser durch seine Arroganz bei. Der Westen glaube noch immer, er könne der Welt Bedingungen in politischer, religiöser und kultureller Hinsicht diktieren, kritisierte Steinbach. In der islamischen Welt werde dies aber immer weniger akzeptiert wird, wie die gegenwärtigen Ereignisse zeigten.
Die umstrittenen Karikaturen seien "von so miserabler Qualität, dass sie nur als Provokation verstanden werden können". So werde in den Zeichnungen eine direkte Verbindung zwischen islamischem Extremismus und dem Propheten gezogen. Mohammed und Terrorismus würden gleichgesetzt. "Das empfinden auch Muslime, die sich von Extremismus und Terrorismus distanzieren, als Beleidigung", betonte der Orient-Experte.
ase/ap/afp/reuters
04. Februar 2006
MOHAMMED-CARTOONS
Das gefährliche Spiel mit der religiösen Inbrunst
Von Kristina Bergmann, Kairo
Nach den Freitagsgebeten gingen gestern und heute in der islamischen Welt Zehntausende auf die Straße, um gegen die Karikaturen und gegen europäische Regierungen zu demonstrieren. Die arabischen Regimes befördern den Protest - auch wenn er ihnen selbst gefährlich werden könnte.
Kairo - Die Imame sprachen laut und heftig gegen die vorgebliche Unverschämtheit des Westens, den Propheten des Islam, Mohammed, in den Schmutz zu ziehen. Weiter kritisierten sie in scharfen Worten die europäischen Regierungen, welche zuschauten, wie die Presse sich über den Islam mokiere und seinen Propheten beleidige.
Kein Prediger von Rang und Namen ließ es sich nehmen, selbst das Wort zu ergreifen. Der bekannte Scheikh Qaradauwi bezeichnete in der Großen Moschee von Qatar den dänischen Karikaturisten als Blasphemiker und die Europäer als Feiglinge. Es sei eine Schande, unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine solche Gotteslästerung zuzulassen.
Den Predigern war aber trotz ihrer Erregung deutlich anzumerken, wie froh sie waren, die gesamte muslimische Welt wieder einmal vereinigt zu sehen. Sie riefen die Muslime auf, nun selbst gegen die Karikaturen und gegen Europa zu protestieren.
Wut der islamischen Diaspora
Und die Glaubensbrüder folgten dem Ruf zu Zehntausenden. In Kairo, in Bagdad und in den palästinensischen Gebieten fanden nach den Gebeten die größten Kundgebungen statt. Aber auch in Indonesien, dem größten islamischen Land der Welt, wogten die Emotionen. Protestierenden Muslimen gelang es, in die Eingangshalle eines Gebäudes in Jakarta zu dringen, in dem die dänische Botschaft untergebracht ist. Bevor sie herausgeschafft werden konnten, bewarfen sie die Wächter mit faulen Eiern und Tomaten.
Die umstrittenen Karikaturen waren bereits im vergangenen Herbst in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" erschienen. Laut dem Chefredakteur sollten sie einen in der Zeitung veröffentlichten Dialog um Meinungsfreiheit illustrieren.
Viele Menschen in der muslimischen Welt fühlte sich durch die satirischen Zeichnungen ihres Propheten beleidigt. Zum einen gilt für Muslime ein Bilderverbot. Zwar ist es keineswegs absolut, und sowohl Fernsehen und Kino als auch das private Fotografieren sind durch Fatwa, also islamische Rechtsgutachten, längst abgesegnet. Geblieben ist aber die absolute Untersagung, Propheten und ihre Familien bildlich darzustellen.
Spott über Religion ist tabu
Im Koran findet sich dazu nur ein einziger Hinweis. Er nimmt die vor dem Islam weit verbreitete Abbildung der Götzenbilder aufs Korn. Der Prophet Mohammed verbot vor allem wegen dieser jegliche Bilder und Kult von sich und empfahl stattdessen die Kunst des Wortes in der Literatur und der Kalligraphie. Außerdem sind in der islamischen Welt Spott, Witze und Karikaturen über die Religion bisher tabu.
Trotzdem machte die islamistische Gemeinde Kopenhagens die Karikaturen im Ausland bekannt. Wegen des Bilderverbots tat sie dies mündlich - im Café, am Telefon und schriftlich auf ihren Websites. Bei Islamisten, aber auch bei weniger gläubigen Muslimen im Nahen Osten und in Asien formierten sich bald Widerspruch und Widerstand. Der Protest wurde beispielsweise auf die in Saudi-Arabien weit verbreiteten dänischen Produkte der dänischen Fima "Arla Foods" übertragen. Die Produkte des Molkerei-Konzerns mussten in Saudi-Arabien Ende Januar aus den Regalen genommen werden, nachdem Kunden sie tagelang boykottiert hatten und sie verrottet waren.
Per Kurzmeldung über ihre Mobiltelefone unterrichteten Saudis Verwandte und Freunde von der erfolgreichen Ächtung. Wie ein Lauffeuer breitete sie sich nach Kuwait, Qatar und in die Vereinigten Arabischen Emirate aus. Der Verkaufsstopp der Produkte am Golf - vor allem Käse - kostet Arla Foods seither täglich 1,5 Millionen Euro. Arla Foods vereint auf sich ein Drittel sämtlicher dänischer Exporte in die Golfregion. Die Firma stellte nun nicht nur ihre Lieferungen zur arabischen Halbinsel ein, sondern kündigte auch den 150 Arbeitskräften vor Ort.
Graben droht sich zu vertiefen
Der massive Protest hat auch andere Gründe als nur religiöse Verletztheit. Die Nerven der Muslime, vor allem der arabischen, liegen wegen der Konflikte im Irak und in Palästina blank. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass der Westen die Muslime ganz allgemein verachtet und eben ihre Religion und Frömmigkeit verantwortlich für die missliche politische Entwicklung in der arabischen Region macht.
Zahllose Muslime bekamen das nach dem 11. September 2001 am eigenen Leib zu spüren, als sie in die USA reisen wollten. Sie erhielten nur schwer ein Visum; bei ihrer Ankunft wurden sie unterschiedslos nach Bomben und Granaten gefilzt. Die Muslime sehen es umgekehrt: Es ist der Westen, welcher den Orient vor allem wegen des Rohöls beherrschen will. Israel gilt den meisten Arabern als westliche Zweitwohnung, von der aus bequem die imperialistischen Träume der USA und Europas verwirklicht werden sollen.
Die Regime springen auf den Zug auf
Karikaturen wie die der Jyllands-Posten wirken in der islamischen Welt wie Öl ins Feuer der Missverständnisse zwischen dem Orient und dem Westen. Die arabischen Regime sind allesamt auf den Zug der Wut aufgesprungen. Riad zog seinen Botschafter aus Kopenhagen ab, Libyen schloss dort seine Botschaft und die Arabische Liga intervenierte bei der dänischen Regierung. Das erstaunte viele Beobachter, zeichnet sich doch, außer Teheran, kein Regime des Nahen Ostens durch besonders tiefe Gläubigkeit und Religiösität aus. Die Rügen gegenüber den dänischen Diplomaten wirkten deshalb weniger als echte Empörung denn als ein Anbiedern an die eigenen Völker.
Gegen diese haben die arabischen Regime seit langem einen schweren Stand. Sie klammern sich an die Macht und bestrafen jede Auflehnung streng, nicht selten mit Folter. Während Widerstand in den sechziger Jahren von links kam, sind die Oppositionellen heute fast ausnahmslos Muslimbrüder und Islamisten. Genau diese hatten jedoch den Protest gegen die Karikaturen initiiert.
Kairo, Damaskus, Riad, Sanaa, Tripolis und all die anderen arabischen Regime können nur hoffen, dass sich die angestaute Wut des kleinen Mannes, welche er nun so lautstark gegen das kleine Dänemark äußert, nicht bald gegen sie selbst richtet.
04. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
Skandinavische Botschaften in Brand gesetzt
Der Konflikt um die Veröffentlichung der umstrittenen Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed hat sich weiter verschärft: In Damaskus stürmten syrische Demonstranten die Botschaften von Dänemark und Norwegen und setzten die Gebäude in Brand.
Ziel der Attacken in Damaskus war zunächst die dänische Botschaft. Die Demonstranten durchbrachen die Polizeiabsperrungen und stiegen in das Gebäude ein, wie Augenzeugen sagten. Die Feuerwehr löschte den Brand nach einer Stunde. Einige Demonstranten rissen die dänische Flagge herunter und ersetzten sie durch eine grüne mit der Aufschrift: "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet."
Die Proteste richteten sich gegen die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed durch die dänische Zeitung "Jyllands-Posten". Die Zeichnungen waren in den vergangenen Tagen von mehreren deutschen und europäischen Zeitungen nachgedruckt worden.
ANTI-KARIKATUREN-PROTEST: DIE ISLAMISCHE WELT IN AUFRUHR
Nach der dänischen Botschaft wurde auch die nahe gelegene norwegische Vertretung in Damaskus von Demonstranten angegriffen. Die Kundgebungsteilnehmer drangen in das Gebäude ein und legten Feuer. Sie schleuderten Möbel aus dem Fenster des vierstöckigen Gebäudes. Die syrische Sicherheitskräfte hatten zuvor versucht, die Demonstranten mit Tränengas zurückzudrängen.
In Gaza griffen Palästinenser die Außenstelle des deutschen Verbindungsbüros an, schlugen Türen und Fenster ein und verbrannten die deutsche Flagge. 400 Demonstranten zogen vor ein Gebäude der Europäischen Union. Die EU-Kommission forderte die Autonomiebehörde auf, die Einrichtungen der Union vor Übergriffen zu schützen.
Auch in Europa kam es zu Demonstrationen. In London versammelten sich vor der dänischen Botschaft mehrere hundert Menschen. Ein Sprecher forderte die islamischen Länder auf, alle Beziehungen zu den europäischen Ländern abzubrechen, in denen die Karikaturen erschienen waren.
In Kopenhagen kam es zu kleineren Zusammenstößen junger Muslime mit der Polizei. Im nahe gelegenen Hilleröd demonstrierten etwa 50 Rechtsextremisten gegen die islamischen Proteste und riefen "Dänemark den Dänen". Später kam es zu Zusammenstößen mit Muslimen und linksgerichteten Aktivisten. Die Polizei erklärte, im Zusammenhang mit den Demonstrationen seien 140 Menschen in Gewahrsam genommen worden.
Die dänische Regierung hat nach Angriffen auf ihre Botschaft in Damaskus alle Dänen aufgefordert, Syrien umgehend zu verlassen. Die Sicherheitslage für dänische Staatbürger habe sich verschlechtert, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Kopenhagen. Auch die Norweger beorderten ihre Staatsbürger nach Hause.
Der dänische Außenminister Per Stig Möller beschwerte sich in einem Telefongespräch bei seinem syrischen Kollegen Faruk al Scharaa und sagte, dass der mangelnde Schutz der Botschaft inakzeptabel sei. Scharaa habe sein Bedauern ausgedrückt. Die schwedische Außenministerin Laila Freivalds sagte der Nachrichtenagentur TT, sie habe den syrischen Botschafter in Stockholm für Samstagabend einbestellt, um offiziell Protest einzulegen. Die schwedische Botschaft in Damaskus liegt in demselben Gebäude wie die dänische und wurde daher ebenfalls gestürmt. "Ich werde sagen, dass die Eskalation zu weit gegangen ist. Wir erwarten den Schutz, auf den wir ein Anrecht haben", betonte Freivalds.
jaf/AP/rtr/AFP
04. Februar 2006
CARTOON-DEBATTE
Maulhelden der Meinungsfreiheit
Von Jürgen Gottschlich, Istanbul
Der Cartoon-Streit berühre die wichtigste Frage unserer Zeit - die Meinungsfreiheit, schrieb Ibn Warraq gestern auf SPIEGEL ONLINE. Der in Istanbul lebende Journalist Jürgen Gottschlich widerspricht: Viele Muslime hätten es einfach satt, sich ständig als Terror-Sympathisanten beschimpfen zu lassen.
Istanbul - Am Anfang schien alles ganz einfach. Ein Buchautor hatte Schwierigkeiten, Künstler zu finden, die sein Werk mit ein paar lustigen Zeichnungen über den Propheten Mohammed bereichern könnten. Nach dem Motto "Bild kämpft für Sie" nahm sich die auflagenstärkste Zeitung des Landes des Problems an und forderte die einheimischen Karikaturisten auf, Mut zu fassen und endlich mal, ohne Schere im Kopf, den dämlichen Mullahs, potentiellen Ehrenmördern und Ziegenfickern richtig die Meinung zu sagen.
Per Bild, damit diese Analphabeten es auch verstehen. Schließlich sind wir hier im schönen Dänemark, wo wir glücklicherweise seit ein paar Jahren angefangen haben, uns von denen nicht mehr unseren Sozialstaat ausnehmen zu lassen. Die Aktion war ein voller Erfolg. Die Angesprochenen reagierten wie erwartet und jaulten auf. Sie rannten zur Regierung und zu den Gerichten, nur um sich noch einmal offiziell sagen zu lassen, so sei das jetzt im Staate Dänemark. Premier Rasmussen war begeistert und sah überhaupt keinen Anlass, die Helden der Meinungsfreiheit von der "Jyllands-Posten" zu rügen und auch die Gerichte fanden: soviel Meinungsfreiheit muss sein, damit die Islamis endlich mal kapieren, wo hier der Hammer hängt.
Schließlich lautet das Motto der dänischen rechtsliberalen Regierung seit ihrem Amtsantritt: Wenn es euch bei uns nicht passt, geht doch nach Hause. Keine andere europäische Regierung agiert so offen fremdenfeindlich wie die dänische. Ihren Wählern gefällts, schließlich handelt es sich bei den Einwanderern sowieso nur um Schmarotzer, die "unsere Werte" nicht teilen. Nun haben die Angesprochenen, nachdem man es ihnen lange genug eingehämmert hatte, die Botschaft endlich verstanden und sie sind "nach Hause" gegangen. Wo sie in Dänemark kein Verständnis mehr finden konnten, suchten sie Unterstützung bei der Al-Aksa Moschee in Kairo, deren Gelehrte so etwas wie die muslimische Glaubenskongregation darstellen. Seitdem schlottert den Helden der Meinungsfreiheit plötzlich die Hose. Seit es nicht mehr nur darum geht, einer Minderheit zu zeigen, was sie gefälligst zu akzeptieren hat, wird Entschuldigung geheuchelt.
Während auch andere Helden der Meinungsfreiheit in Europa glaubten, sie könnten sich billig auch noch schnell als Leuchttürme der Freiheit aufbauen, wissen "Jyllands-Posten" und Rasmussen mittlerweile nicht mehr, wie sie möglichst unbeschadet von diesem Sockel wieder herunterkommen können. Wer hätte das denn auch ahnen können, dass diese Muslime sich plötzlich weltweit aufregen, dänische Produkte boykottieren und mit Gewalt gegen dänische - und dank der anderen Helden der Meinungsfreiheit - mittlerweile auch anderer europäischer Einrichtungen vorgehen. Nein das hätte man nicht unbedingt erwarten müssen, es ist ja auch völlig irreal. Wegen ein paar Karikaturen, das kann doch wohl nicht wahr sein!!! Das muss doch wohl erlaubt sein! Sicher, mit genügend Dummheit im Gepäck ist alles erlaubt. In einem kurzen Interview im ZDF erklärte der Deutschland Korrespondent von al Dschasira am Freitagabend dem deutschen Publikum worum es eigentlich geht: Seit etlichen Jahren haben die muslimischen Einwanderer in Europa das Gefühl, ständig an den Pranger gestellt zu werden und keinerlei Respekt mehr zu genießen. Irgendwann genügt eine letzte Aktion, um ein Fass überlaufen zu lassen, dass seit langem mit Frust und Wut gefüllt wurde. Was für die Migranten in Europa gilt, gilt erst Recht für viele Menschen in den mehrheitlich islamischen Ländern, die sich seit dem 11. September 2001 allesamt dem Verdacht ausgesetzt sehen, mehr oder weniger heimliche Sympathisanten bin Ladens zu sein.
Armut gegen Arroganz?
Selbst in einem säkularen Land wie der Türkei, im dem übrigens lediglich eine Handvoll Anhänger einer religiösen Hardcore Partei vor dem dänischen Konsulat in Istanbul demonstrierten, ist der Frust auf "den Westen" in den letzten Jahren gewachsen. Das hat damit zu tun, wie ein großer Teil Europas auf den türkischen Wunsch, Mitglied dieser europäischen Gemeinschaft zu werden, reagiert und es hat damit zu tun, wie die Vormacht des Westens sich im Irak gebärdet. Während am Bosporus jedoch die Gelassenheit überwiegt, hat der dänische Funke in vielen anderen, islamischen Ländern, gezündet. So, wie es die großen Helden der Meinungsfreiheit in Dänemark gibt, gibt es auf der arabischen Halbinsel aber auch in Nordafrika oder Indonesien genügend Helden, die gerne bereit sind, für die Würde des Propheten auf die Barrikaden zu gehen. Das funktioniert wie kommunizierende Röhren und plötzlich kommt es zum Knall. Haben wir jetzt den lange herbei geredeten Kampf der Kulturen? Wenn man lange genug daran arbeitet, ist es vielleicht bald soweit. Religiöser Fanatismus und Armut auf der einen Seite, Arroganz und die Angst um den eigenen Reichtum auf der anderen Seite, bilden derzeit eine Mischung, die hochexplosiv ist. Statt einen falsch verstandenen Kampf für die Meinungsfreiheit zu führen, wird es dringend Zeit, zu den Tugenden der Aufklärung zurückzukehren und der Vernunft zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Situation ist schwierig genug, Dumme finden sich überall und keine Seite ist frei von Schuld.
Es bleibt zu hoffen, dass die Stimme der Vernunft aus dem UNO Hauptquartier in New York durchdringt, wo Kofi Annan gestern sagte: Ich teile die Pein der muslimischen Freunde, die die Karikaturen als Beleidigung ihrer Religion empfinden, aber ich bitte sie, die Entschuldigung von Jyllands-Posten anzunehmen. Ich respektiere genauso die Redefreiheit, aber selbstverständlich ist diese niemals absolut sondern zu ihr gehören Verantwortung und Urteilsvermögen". An beidem hat es in der letzten Zeit erheblich gemangelt.
03. Februar 2006
IBN WARRAQ ZUM BILDERSTREIT:
"Entschuldigt Euch nicht!"
Er wurde in pakistanischen Koran-Schulen erzogen - nun fordert der Schriftsteller Ibn Warraq in einem Essay für SPIEGEL ONLINE vom Westen: Entschuldigt Euch nicht! Der Streit um die Mohammed-Karikaturen werfe die wichtigste Frage unserer Zeit auf: nach dem Recht auf freie Meinungsäußerung.
Der große britische Philosoph John Stuart Mill (1806 - 1873) schrieb in seinem Werk "Über die Freiheit": "Es ist befremdlich, dass Menschen zugeben, wie wertvoll Argumente für eine freie Diskussion sind, sie jedoch zurückweisen, wenn sie ins Extrem getrieben werden; dabei übersehen sie, dass Gründe, die für den Extremfall nicht taugen, für keinen Fall taugen."
Die in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlichten Karikaturen werfen die wichtigste Frage unserer Zeit auf: die Frage nach der freien Meinungsäußerung. Lassen wir uns im Westen in die Enge treiben durch Druck von Gesellschaften, die einer mittelalterlichen Gesinnung anhängen? Oder sind wir bereit, unser wertvollstes Freiheitsgut zu verteidigen: die freie Meinungsäußerung, eine Errungenschaft, für die Tausende ihr Leben geopfert haben?
Ohne das Recht der freien Meinungsäußerung kann eine Demokratie nicht lange überleben - ohne die Freiheit zu diskutieren, unterschiedlicher Meinung zu sein, sogar zu beschimpfen und zu beleidigen. Es ist eine Freiheit, der die islamische Welt so bitter entbehrt, und ohne die der Islam ungefochten verharren wird in seiner dogmatischen, fanatischen, mittelalterlichen Burg; verknöchert, totalitär und intolerant. Ohne fundamentale Freiheit wird der Islam weiterhin das Denken, Menschenrechte, Individualität, Originalität und Wahrheit ersticken.
Solange wir keine Solidarität mit den dänischen Karikaturisten zeigen, unverhohlene, laute und öffentliche Solidarität, so lange werden diejenigen Kräfte die Oberhand gewinnen, die versuchen, dem freien Westen eine totalitäre Ideologie aufzuzwingen; die Islamisierung Europas hätte dann in Raten begonnen. Entschuldigt Euch also nicht!
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ZUR PERSON
Ibn Warraq wurde 1946 in Indien geboren und wuchs in Pakistan auf. Erzogen wurde er in Koran- Schulen in Pakistan und später in England. Zur Zeit lebt er in den USA und veröffentlicht aus Sicherheitsgründen unter dem Pseudonym Ibn Warraq, ein Name, der im Islam traditionell von Dissidenten benutzt wird. Zuletzt hat er den Bestseller "Warum ich kein Muslim bin" veröffentlicht. Er hat zudem "Die Ursprünge des Korans" herausgebracht und "Die Frage nach dem historischen Mohammed".
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Ich komme auf ein anderes, weiter gefasstes Problem zu sprechen: auf die Unfähigkeit des Westens sich selbst intellektuell und kulturell zu verteidigen. Seid stolz! Entschuldigt Euch nicht! Müssen wir ständig für die Sünden unserer Vorfahren um Vergebung bitten? Müssen wir uns etwa immer noch für das Britische Empire entschuldigen, angesichts der Tatsache, dass die britische Präsenz in Indien zu einer Renaissance des Subkontinents geführt hat, die darin bestand, dass der Hunger bekämpft wurde, dass Straßen, ein Eisenbahnnetz und Bewässerungssysteme gebaut wurden, dass die Cholera verschwand? Öffentliche Dienste und die Etablierung einer Schulausbildung für alle gab es vorher nicht. Die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie, die Herrschaft des Rechts war das Beste, was die Briten zurücklassen konnten.
Oder was ist mit dem britischen Entwurf Bombays oder Kalkuttas? Die Briten haben den Indern sogar ihre eigene Vergangenheit wiedergegeben: Es war die europäische Gelehrsamkeit und Forschung, die europäische Archäologie, die die alte Größe Indiens entdeckt hat. Es war die britische Regierung, die ihr Bestes gab, um Denkmäler zu retten, die von vergangener Pracht zeugen. Der britische Imperialismus trug dort deren Erhaltung bei, wo islamischer Imperialismus Tausende Hindu-Tempel zerstörte.
Sollten wir uns vor aller Welt wirklich für Dante, Shakespeare, Goethe, Mozart, Beethoven oder Bach entschuldigen? Für Rembrandt, Vermeer, Van Gogh, Breughel, Galileo, Huygens, Kopernikus, Newton und Darwin? Für Penizillin und Computer? Für die Olympischen Spiele und für Fußball? Für Menschenrechte und die Parlamentarische Demokratie? Im Westen liegt die Quelle der Freiheitsidee. Die Idee individueller Freiheit, politischer Demokratie, des Rechtsstaats, der Menschenrechte und kultureller Freiheit.
Es war der Westen, der die Stellung der Frau verbessert, die Sklaverei bekämpft und die Gewissens-, Meinungs- und Informationsfreiheit verteidigt hat. Nein, der Westen braucht keine Belehrungen über die überlegenen Tugenden von Gesellschaften, die ihre Frauen unterdrücken, deren Klitoris beschneiden, sie steinigen für mutmaßlichen Ehebruch, die Säure in ihre Gesichter kippen, oder die denjenigen die Menschenrechte absprechen, die angeblich niedrigeren Kasten angehören.
Wie können wir von Einwanderern erwarten, dass sie sich in die westlichen Gesellschaften integrieren, wenn ihnen gleichzeitig gelehrt wird, der Westen sei dekadent, ein Born des Frevels, Quell allen Übels, rassistisch, imperialistisch und verachtenswürdig. Warum sollten sie sich - um die Worte des afro-amerikanischen Schriftstellers James Baldwin aufzugreifen - auf einem sinkenden Schiff einrichten? Doch warum wollen sie alle in den Westen - und nicht nach Saudi-Arabien?
Stattdessen sollte man ihnen erzählen von den Jahrhunderten des Kampfes, der zur Freiheit führte, den sie und alle anderen wertschätzen, genießen, und den sie sich zu Nutze machen. Von den Individuen und Gruppen, die für diese Freiheit gekämpft haben, und die verachtet wurden und heute vergessen sind, von jenen, die für die Freiheit gekämpft haben, um die uns ein Großteil der Welt beneidet, bewundert und nachzuahmen sucht. Als die chinesischen Studenten 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens für Demokratie demonstrierten und starben, führten sie keine Modelle von Konfuzius oder Buddha mit sich, sondern die Freiheitsstatue.
Die Meinungsfreiheit ist unser westliches Erbe. Verteidigen wir es, damit es nicht totalitären Attacken zum Opfer fällt. Es ist auch in der islamischen Welt dringend nötig. Indem wir für unsere Werte einstehen, geben wir der islamischen Welt eine wertvolle Lektion: Wir helfen ihr, indem wir ihre geschätzten Traditionen den Errungenschaften der Aufklärung zur Seite stellen.
Ãœbersetzung: Alexander Schwabe
February 3, 2006
OPINION
Democracy in a Cartoon
By Ibn Warraq
Best-selling author and Muslim dissident Ibn Warraq argues that freedom of expression is our western heritage and we must defend it against attacks from totalitarian societies. If the west does not stand in solidarity with the Danish, he argues, then the Islamization of Europe will have begun in earnest.
AP
Ibn Warraq: "How can we expect immigrants to integrate into western society when they are at the same time being taught that the west is decadent, a den of iniquity, the source of all evil, racist, imperialist and to be despised?"
The great British philosopher John Stuart Mill wrote in On Liberty, "Strange it is, that men should admit the validity of the arguments for free discussion, but object to their being 'pushed to an extreme'; not seeing that unless the reasons are good for an extreme case, they are not good for any case."
The cartoons in the Danish newspaper Jyllands-Posten raise the most important question of our times: freedom of expression. Are we in the west going to cave into pressure from societies with a medieval mindset, or are we going to defend our most precious freedom -- freedom of expression, a freedom for which thousands of people sacrificed their lives?
A democracy cannot survive long without freedom of expression, the freedom to argue, to dissent, even to insult and offend. It is a freedom sorely lacking in the Islamic world, and without it Islam will remain unassailed in its dogmatic, fanatical, medieval fortress; ossified, totalitarian and intolerant. Without this fundamental freedom, Islam will continue to stifle thought, human rights, individuality; originality and truth.
Unless, we show some solidarity, unashamed, noisy, public solidarity with the Danish cartoonists, then the forces that are trying to impose on the Free West a totalitarian ideology will have won; the Islamization of Europe will have begun in earnest. Do not apologize.
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IBN WARRAQ
Born in 1946 in India and raised in Pakistan, Ibn Warraq was educated in Koran schools in Pakistan and later in England. He currently lives in the United States and writes under the pseudonym Ibn Warraq, a pen name traditionally used by dissidents in Islam. He is the author of the best- seller "Why I am Not a Muslim" and the editor of "The Origins of the Koran" and "The Quest for the Historical Muhammad."
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This raises another more general problem: the inability of the West to defend itself intellectually and culturally. Be proud, do not apologize. Do we have to go on apologizing for the sins our fathers? Do we still have to apologize, for example, for the British Empire, when, in fact, the British presence in India led to the Indian Renaissance, resulted in famine relief, railways, roads and irrigation schemes, eradication of cholera, the civil service, the establishment of a universal educational system where none existed before, the institution of elected parliamentary democracy and the rule of law? What of the British architecture of Bombay and Calcutta? The British even gave back to the Indians their own past: it was European scholarship, archaeology and research that uncovered the greatness that was India; it was British government that did its best to save and conserve the monuments that were a witness to that past glory. British Imperialism preserved where earlier Islamic Imperialism destroyed thousands of Hindu temples.
On the world stage, should we really apologize for Dante, Shakespeare, and Goethe? Mozart, Beethoven and Bach? Rembrandt, Vermeer, Van Gogh, Breughel, Ter Borch? Galileo, Huygens, Copernicus, Newton and
Darwin? Penicillin and computers? The Olympic Games and Football? Human rights and parliamentary democracy? The west is the source of the liberating ideas of individual liberty, political democracy, the rule of law, human rights and cultural freedom. It is the west that has raised the status of women, fought against slavery, defended freedom of enquiry, expression and conscience. No, the west needs no lectures on the superior virtue of societies who keep their women in subjection, cut off their clitorises, stone them to death for alleged adultery, throw acid on their faces, or deny the human rights of those considered to belong to lower castes.
How can we expect immigrants to integrate into western society when they are at the same time being taught that the west is decadent, a den of iniquity, the source of all evil, racist, imperialist and to be despised? Why should they, in the words of the African-American writer James Baldwin, want to integrate into a sinking ship? Why do they all want to immigrate to the west and not Saudi Arabia? They should be taught about the centuries of struggle that resulted in the freedoms that they and everyone else for that matter, cherish, enjoy, and avail themselves of; of the individuals and groups who fought for these freedoms and who are despised and forgotten today; the freedoms that the much of the rest of world envies, admires and tries to emulate." When the Chinese students cried and died for democracy in Tiananmen Square (in 1989) , they brought with them not representations of Confucius or Buddha but a model of the Statue of Liberty."
Freedom of expression is our western heritage and we must defend it or it will die from totalitarian attacks. It is also much needed in the Islamic world. By defending our values, we are teaching the Islamic world a valuable lesson, we are helping them by submitting their cherished traditions to Enlightenment values.
04. Februar 2006
ABDRUCK DER MOHAMMED-KARIKATUREN
Jordanischer Chefredakteur festgenommen
Wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen ist ein jordanischer Chefredakteur verhaftet worden. Auch in anderen arabischen Staaten werden die Reaktionen auf die Bilder immer heftiger. In Syrien wurde die dänische Botschaft angezündet, Iran droht mit dem Abbruch aller Wirtschaftsbeziehungen.
Amman - Der ehemalige Chefredakteur der Zeitung "Schihan", Dschihad Momani, sei der Gotteslästerung angeklagt und verhaftet worden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf Justizkreise. Einzelheiten seien jedoch noch nicht bekannt. Momani war am Donnerstag entlassen worden, nachdem er in der Wochenzeitung die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte.
ANTI-KARIKATUREN-PROTEST: DIE ISLAMISCHE WELT IN AUFRUHR
Die Dabei hatte der Chefredakteur, der früher Abgeordneter im jordanischen Parlament war, aus seiner Abscheu gegen die Zeichnungen keinen Hehl gemacht. Allerdings hatte er in einem Begleit-Kommentar gleichzeitig selbstkritische Fragen gestellt. So fragte er unter anderem: "Wer beleidigt den Islam eigentlich mehr? Ein Ausländer, der den Propheten (...) darstellt (...), oder ein Muslim, der mit einem Sprengstoffgürtel bewaffnet auf einer Hochzeitsfeier in Amman ein Selbstmordattentat durchführt (...)?"
Die Verleger, die Arab Printers Company, hatte nach der Veröffentlichung dieser Artikel die 36.000 Exemplare der Boulevardzeitung von allen Verkaufsstellen zurückrufen lassen und ein hartes Durchgreifen gegen alle Beteiligten angekündigt. In einem öffentlichen Entschuldigungsschreiben erklärte Momani, er habe keinen Ärger erregen wollen mit dem Nachdruck der Karikaturen. Jordanische Medienunternehmer und Chefredakteure erklärten jetzt, der Artikel in "Schihan" werde von Medien im Westen instrumentalisiert. Sie wollten damit zeigen, dass der Ärger über die Zeichnungen übertrieben sei und die Karikaturen sogar in der arabischen Presse nachgedruckt würden.
Auch in anderen arabischen Staaten flaut die Empörung über die umstrittenen Karikaturen nicht ab. In Syrien zündeten Demonstranten die dänische Botschaft an, in der Stadt Gaza in Palästina griffen Protestanten das deutsche Kulturzentrum und das Büro der EU-Kommission an. Auch auf politischer Ebene kam es zu heftigen Reaktionen. So bestellte etwa das pakistanische Außenministerium die Botschafter aus neun europäischen Staaten ein. Die Gesandten aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Norwegen, Tschechien, den Niederlanden und der Schweiz seien herbeizitiert worden, um "starken Protest gegen die Veröffentlichung und den Nachdruck blasphemischer Zeichnungen einzulegen", erklärte ein Sprecher des Außenministeriums.
Der Iran drohte damit, Wirtschaftssanktionen gegen europäische Staaten zu verhängen, in denen die Zeichnungen erschienen sind. Präsident Mahmud Ahmadinedschad habe das Handelsministerium aufgefordert, die Handelsverträge mit den betreffenden Ländern zu überprüfen und gegebenenfalls zu kündigen, meldete die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA. Ahmadinedschad erklärte laut IRNA, die Veröffentlichungen bewiesen "die Vermessenheit und Unhöflichkeit" westlicher Zeitungen.
Auch im Westen Kritik
Auch im Westen gibt es Kritik an der Veröffentlichung der Zeichnungen. Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg etwa verurteilte die Veröffentlichung in seinem Land. Es sei besonders paradox, dass mit "Magazinet" eine christliche Zeitschrift die Karikaturen nachgedruckt habe, schrieb der Sozialdemokrat in einem Beitrag für die Zeitung "Dagsavisen". Er sei sich bei der Verurteilung dieses Handelns mit der Christlichen Volkspartei und Repräsentanten christlicher Kirchen einig. Die norwegische Regierung stelle nicht das Recht auf Pressefreiheit in Frage. Das Recht, alles zu drucken, bedeute aber keinesfalls die Pflicht, alles zu drucken, so Stoltenberg.
Auch der Vatikan meldete sich inzwischen in dem heftigen Konflikt zu Wort. Die Zeichnungen seien eine "inakzeptable Provokation", hieß es in einer Stellungnahme. Zugleich verurteilte der Heilige Stuhl jedoch die gewaltsamen Proteste.
Ähnlich hatte zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert. Sie verstehe zwar, dass die Mohammed-Karikaturen in einigen Zeitungen die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt hätten, erklärte sie auf der Sicherheitskonferenz in München. Die Gewalttaten seien als Reaktion aber inakzeptabel. Die Pressefreiheit sei ein unantastbares, hohes Gut und "als Bestandteil der Demokratie nicht wegzudenken".
Demonstrationen, die in Europa inzwischen ebenfalls stattfanden, blieben unterdessen weitgehend friedlich. In London versammelten sich vor der dänischen Botschaft mehrere hundert Menschen. Ein Sprecher forderte die islamischen Länder auf, alle Beziehungen zu den europäischen Ländern abzubrechen, in denen die Karikaturen erschienen waren. In Kopenhagen kam es zu kleineren Zusammenstößen junger Muslime mit der Polizei.
In Leipzig demonstrierten rund 70 Muslime gegen die Karikaturen. Die Veröffentlichung der Bilder auch in deutschen Zeitungen sei verantwortungslos und zerstöre die Brücken zwischen den Kulturen, sagte der Vorsitzende der Vereinigung arabischer Studenten und Akademiker, Aiman Mubarak. Zwar respektiere er die Pressefreiheit. Dass der Prophet in den Karikaturen mit Terror und Mord in Verbindung gebracht werde, sei aber inakzeptabel.
04. Februar 2006
UMSTRITTENE CARTOONS
Vatikan kritisiert Mohammed-Karikaturen
Nach gewalttätigen Demonstrationen in Syrien und Palästina hat sich nun auch der Vatikan zum Cartoonstreit geäußert. Die Karikaturen Mohammeds seien falsch. Die Meinungs- und Redefreiheit enthalte kein Recht, die religiösen Gefühle der Gläubigen zu verletzen.
Rom - Die dänischen Karikaturen des muslimischen Propheten Mohammed seien eine "inakzeptablen Provokation". Allerdings kritisierte der Vatikan auch die gewaltsamen Reaktionen auf die Zeichnungen. "Tätliche oder verbale Intoleranz" bedrohe immer den Frieden.
Ein Sprecher des Heiligen Stuhls betonte auch, dass die Staaten, in denen die Karikaturen veröffentlicht wurden, nicht dafür verantwortlich seien. Sie sollten aber "gemäß ihrer nationalen Gesetzgebung" einschreiten.
Die Zeichnungen zeigen Mohammed unter anderem mit einem Turban in Form einer Bombe. Sie verletzen das Verbot der bildlichen Darstellung des Propheten. Die Karikaturen wurden zuerst von einer dänischen Zeitung veröffentlicht. Später druckten sie auch andere europäische Blätter, unter anderem die deutsche "Welt".
agö/reuters
05. Februar 2006
DEBATTE
Der Koran als Ecstasy fürs Volk
Von Claus Christian Malzahn
Rauchschwaden in Beirut, wütender Protest in Jakarta und Damaskus: Ein panislamischer Volkssturm tobt gegen die Mohammed-Cartoons. Sind Muslime empfindlicher als Christen oder Juden? Sie leben jedenfalls in anderen Gesellschaften. Höchste Zeit, mehr Demokratie zu wagen.
Berlin - Über die Qualität der Karikaturen aus Dänemark, die den Propheten Mohammed zum Stammvater des modernen Terrorismus machen, muss nicht lange gestritten werden. Sie sind plump, manche haben die Grenze zur Denunziation überschritten. Aber es gibt in der aufgeklärten, säkularen Welt der Demokratie und des Humanismus auch ein Recht auf plumpe Karikaturen. Es gibt ebenfalls das Recht, gegen solche Karikaturen zu demonstrieren.
Aber es gibt kein Recht darauf, so genannte religiöse Gefühle zu einem universellen gesetzlichen Maßstab zu machen, auch wenn es Islamisten für ihre Pflicht halten. Religiöse Gefühle gehen in unserer Welt nur den etwas an, der sie hat. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Hier schreibt kein Atheist, der die Gelegenheit für günstig hält, das Elend der Welt am Gottglauben aufzuhängen. Im Gegenteil. Kirchgänger leben länger. Das Vaterunser ist eine großartige Versicherung.
Aber Religion ist im heutigen Europa grundsätzlich Privatsache - es sei denn, man lebt im Vatikanstaat. In den USA ist das übrigens nicht anders, auch wenn der Glaube an Gott dort selbstverständlicher ist als im alten Europa und der Präsident seine Kabinettssitzungen mit einem Gebet eröffnet. Er hat dennoch nicht die Macht, Bilder, Texte oder Musik zu verbieten, in denen religiöse Symbole ironisiert oder atheistisch interpretiert werden. Gottseidank.
In der islamischen Welt ist Religion in den meisten Ländern dagegen keineswegs Privatsache, sondern res publica. Öffentlich angestauter Druck entlädt sich in vielen arabischen Regime nicht etwa politisch, sondern nur durch religiöse Ventile. Den Herrschenden ist das ganz recht. Der amerikanische Verdacht, die Angriffe auf europäische Botschaften in Damaskus könne nicht ohne Wissen des Spitzelstaates Syrien erfolgt sein, ist durchaus plausibel.
Sind Muslime empfindlicher als Christen oder Juden?
Denn in diesem panislamischen Volkssturm gegen das Königreich Dänemark konstituiert sich jene muslimische Glaubensgemeinschaft, die demokratischen Streit und gesellschaftlichen Widerspruch nicht kennt und nicht zu kennen braucht. Es gilt der Grundsatz: Je größer der anti-westliche Protest, desto sicherer sitzt der Despot in seinem Sessel. Wenn wir heute, mehr oder weniger fassungslos, auf die zum Teil gewalttätigen Proteste in Damaskus, Kabul, Jakarta, Beirut oder in anderen muslimischen Metropolen blicken, dann sollten wir berücksichtigen, dass das machiavellistische Spiel von "Teile und Herrsche" eben nicht nur im Westen bekannt ist.
Sind Muslime empfindlicher als andere Gläubige, als Christen oder Juden? Sie leben jedenfalls in anderen Gesellschaften und Staaten als die meisten Christen und Juden. Europa, Israel, Süd- und Nordamerika und Ozeanien teilen im Prinzip dieselben demokratischen Grundsätze (und streiten glücklicherweise heftig darüber). Die Trennung von Staat und Religion war die entscheidende Vorraussetzung für diese Entwicklung. Der Islam aber hatte keinen Martin Luther, der das religiöse Deutungsmonopol des Vatikans brach, und auch keinen Napoleon, der die Macht der Kirche in Europa zurück drängte.
Der Islam von heute kennt aber einen Osama bin Laden, der es geschickt versteht, mit islamischen Geschichtsmythen zu spielen. Immer wieder erzählt er die Geschichte vom von der christlichen Welt betrogenen Islam. Die religiöse Inbrunst, mit der in diesen Tagen gegen ein paar Karikaturen demonstriert wird, zeigt auch, wie groß der Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen ist.
Dessen Entwicklung zu streitbaren, demokratischen Gesellschaften, die kulturelle und religiöse Vielfalt aushalten ohne daran zu zerbrechen, war nicht geradlinig. Selbst innerhalb Europas verlief sie mit ganz verschiedenen nationalen Akzenten. So spielt der katholische Glauben auch heute in Polen eine viel dominantere Rolle als in Frankreich. Trotzdem war Polen eines der ersten Länder mit einer republikanischen Verfassung in Europa - und ist heute sehr stolz darauf. Doch man soll sich keine Illusionen darüber machen, was in Krakau passieren würde, wenn ein Aktionskünstler dort auf dem Marktplatz das Konterfei von Johannes Paul II kreativ bearbeiten würde.
Von der Freiheit der Kunst in Europa
So ein Mann bräuchte schnell Polizeischutz, und es ist nicht hundertprozentig sicher, dass er welchen bekäme. Dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen dieser - übrigens nicht nur hypothetischen - Reaktion in Polen und dem, was dem Westen gerade in Damaskus, Jakarta und Beirut entgegenschlägt. Die freiheitlichen Ansprüche dieses fiktiven polnischen Aktionskünstlers sind garantiert, und wenn er in Warschau kein Recht auf die Freiheit der Kunst bekäme, dann beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Europa hat sich gegenseitig dazu verpflichtet, solche Essentials einzuhalten.
Es gibt glücklicherweise kein Zurück zu nationalen Sonderregelungen; es gäbe dieses Zurück nur um den Preis der Europäischen Union. Der jordanische Chefredakteur, der es lediglich wagte, die dänischen Cartoons zu dokumentieren und zu fragen, ob Terror nicht schlimmer sei als Blasphemie, wurde dagegen verhaftet. Welchen Gerichtshof soll er anrufen? Wer demonstriert in Amman für ihn?
Zugegeben: Es ist ein Paradoxon, dass die Demokratisierung islamischer Mehrheitsgesellschaften zur Zeit vor allem dazu führt, dass sie sich religiös aufladen und radikalisieren - und nicht etwa pluralisieren und humanisieren. In den palästinensischen Gebieten siegt die radikale Hamas, deren Gesellschaftsbild so eine Art Taliban-light-Staat vorsieht. Und im Irak steigt und steigt der Einfluss der Schiiten. Aber ist uns Europäern dieses Phänomen so fremd? Der Mauerfall hat in Europa auch nicht überall dazu geführt, dass Menschen nun einträchtig und in Freiheit miteinander leben können. Auf dem Balkan kam es zur Katastrophe mit mehr als 100.000 Toten. Erst heute erkennen die Eliten dort langsam die Chance, in ein geeintes, friedliches Europa hinein zu wachsen. Der Preis für diese späte Erkenntnis war hoch.
Wie hoch der Preis sein wird, den die islamische Welt dereinst für die Befreiung von den Fußfesseln der Religion zahlen muss, ist noch nicht einmal abzusehen. Aber zu dem Versuch, dort den politischen und religiösen Pluralismus zu befördern und anzusiedeln, gibt es keine vernünftige Alternative. Die Idee, in der arabischen und islamischen Welt am besten alles so zu lassen wie es ist, war noch nie besonders gut - auch wenn man in Berlin und Paris in den vergangenen Jahren glaubte, man käme mit diesem Non-Plan durch.
05. Februar 2006
CARTOON-STREIT
Flächenbrand in der islamischen Welt
Führt der Cartoon-Streit zu einer tiefen politischen Krise zwischen dem Westen und muslimischen Ländern? Auch in Beirut steht die dänische Botschaft in Flammen. Die US-Regierung wirft Syrien indes vor, die Angriffe auf europäische Botschaften zugelassen zu haben.
Hamburg - Trotz massiver Sicherheitsvorkehrungen ist es libanesischen Demonstranten gelungen, die dänische Botschaft in Beirut in Brand zu setzen. Gestern hatten skandinavische Botschaften in Damaskus gebrannt. Westliche Politiker äußerten sich besorgt über die gewalttätigen Proteste in mehreren islamischen Ländern. Die USA warfen der syrischen Regierung vor, die Ausschreitungen zumindest geduldet zu haben.
Ohne "Wissen und Unterstützung" der Regierung seien solche Protestaktionen in Syrien gar nicht möglich, erklärte das Weiße Haus. Es sei nicht zu entschuldigen, dass Syrien die Botschaften nicht geschützt habe, obwohl es Warnungen gegeben habe. Die USA erklärten sich angesichts dieser "skandalösen Vorgänge" solidarisch mit Dänemark und ihren europäischen Verbündeten, hieß es.
Hunderte Demonstranten hatten gestern die dänische und die norwegische Botschaft in Damaskus gestürmt und in Brand gesetzt. Anschließend versuchten sie, auch die französische Botschaft anzugreifen. Auch die Botschaften von Schweden und Chile, die sich mit der dänischen Landesvertretung ein Gebäude teilen, wurden in Mitleidenschaft gezogen.
In der Stadt Gaza hatten mehrere Hundert Palästinenser die deutsche Vertretung und das EU-Büro angegriffen. Die Botschaften waren zum Zeitpunkt des Angriffs ebenso wie das EU-Büro und die deutsche Vertretung in Gaza nicht besetzt. Die Demonstrationen richten sich gegen die Veröffentlichung von Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed in europäischen Zeitungen.
Dänemark warnt seine Staatsbürger
Dänemarks Außenminister Per Stig Møller verurteilte den Angriff syrischer Demonstranten auf die Botschaft in Damaskus als "völlig inakzeptabel". Die Regierung in Kopenhagen forderte alle in Syrien lebenden Dänen zum sofortigen Verlassen des Landes auf. Norwegen will seine Diplomaten aus Syrien abziehen. Außenminister Jonas Gahr Stoere sagte, ein Angriff auf eine Botschaft sei eine "extrem ernste Angelegenheit".
"Soweit ich weiß, ist dies ist das erste Mal überhaupt, dass eine norwegische Botschaft angegriffen wurde", sagte Stoere. Dänemarks Botschafter, Ole Egberg Mikkelsen, erklärte, er habe die Behörden mehrmals um Schutz gebeten. Dennoch konnten Demonstranten die Vertretung stürmen, Fensterscheiben zerschlagen und Feuer legen. Es wurde niemand verletzt.
Das Auswärtige Amt verurteilte den Vorfall in Gaza und verlangte effektiven Schutz der deutschen Einrichtungen. Auch die EU-Kommission forderte die Palästinenserbehörde auf, für einen angemessenen Schutz europäischer Einrichtungen zu sorgen. Auch die österreichische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) verurteilte die Übergriffe. "Solche Taten können durch nichts legitimiert werden", erklärte Außenministerin Ursula Plassnik.
Arabische Staaten starten Image-Kampagne
UN-Generalsekretär Kofi Annan versuchte, die Wogen zu glätten. Zwar respektiere er die Pressefreiheit, doch er teile auch den Unmut der Muslime, sagte Annan. Die Krise müsse sofort überwunden, die ohnehin schwierige Lage dürfe nicht weiter angeheizt werden. Er rief die Muslime auf, die Entschuldigung der dänischen Zeitung, in der die Zeichnungen vor vier Monaten zuerst erschienen waren, zu akzeptieren.
Die arabischen Staaten wollen sich wegen des Streits an die Vereinten Nationen wenden. Diese sollten einen Beschluss fassen, der "beleidigende Angriffe gegen religiöse Überzeugungen" verbiete. Die Informationsminister der arabischen Staaten einigten sich in Kairo zudem, eine Medienkampagne zu starten, "um das schlechte Image des Islam gerade zu rücken".
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad ordnete eine Überprüfung der Handelsbeziehungen mit allen in den Streit verwickelten Ländern an, berichtete die Agentur Mehr. Zunächst solle mit Dänemark begonnen werden. In Teheran zogen am Abend Demonstranten vor die deutsche Botschaft, um gegen die Mohammed-Karikaturen und gegen die Überweisung des Atomstreits mit Iran an den UN- Sicherheitsrat zu protestieren, wie die Nachrichtenagentur Fars berichtete.
jaf/ap/dpa/afp/rtr
05. Februar 2006
PROTEST GEGEN CARTOONS
Brennende Botschaften und Antisemitismus
Europäische Vertretungen im Nahen Osten brennen, Tausende Menschen demonstrieren gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen, und eine muslimische Partei kontert mit antisemitischen Zeichnungen. Dänemark will bei einem Treffen mit der Islamischen Konferenz nun für Entspannung sorgen.
Beirut/Amsterdam/Kopenhagen - Die Organisation der islamischen Konferenz (OIC), ein Zusammenschluss von 57 islamischen Ländern, stimmte heute einem Treffen mit dem dänischen Außenminister Per Stig Møller über die umstrittenen Mohammed-Karikaturen zu. Im Außenministerium in Kopenhagen hieß es, das Ziel des Treffens sei es, die in den den vergangenen Tagen ausgeweiteten Straßenproteste gegen die in Dänemark von der Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlichten Zeichnungen einzudämmen. Die OIC hatte zu Beginn der Protestwelle vor zehn Tagen eine offizielle Entschuldigung der dänischen Regierung für die Veröffentlichung verlangt.
Mit der gewaltsamen Besetzung und Verwüstung europäischer Botschaften im Nahen Osten hatten die Proteste gegen die Karikaturen am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht. Demonstranten setzten heute das Gebäude des dänischen Konsulats in der libanesischen Hauptstadt Beirut in Brand.
Tausende Demonstranten zogen in einem christlichen Stadtviertel von Beirut vor das dänische Konsulat, einige Demonstranten durchbrachen einen Sicherheitskordon der Polizei und setzten das Gebäude in Brand. Nach Krankenhausangaben wurden bei den Zusammenstößen mindestens 28 Menschen verletzt. Der libanesische Regierungschef Fuad Siniora verurteilte die Proteste. Bereits gestern waren in Syriens Hauptstadt Damaskus mehrere tausend Menschen vor die Botschaften Dänemarks und Norwegens gezogen. Ein Teil der Demonstranten hatte die Absperrungen der Polizei durchbrochen, die Gebäude gestürmt, Möbel und Akten aus den Fenstern geworfen und Brände gelegt.
Syrien: "Wir verstehen die Wut des Volkes"
Auf Anraten ihrer Regierungen verließen heute die ersten Dänen und Norweger Syrien. Beide Länder kündigten den Abzug ihrer Diplomaten an. Die meisten Norweger wollen Syrien entgegen den Ratschlägen der Regierung in Oslo vorerst nicht verlassen. Von den geschätzten 90 Norwegern, die sich in Syrien aufhielten, erklärten nach Angaben des Außenministeriums zunächst nur zwölf, dass sie das Land verlassen wollten. 26 Familien wollten in Syrien bleiben.
Nach der Verwüstung seiner Botschaft in Damaskus griff Dänemark die syrische Regierung scharf an. Syrien habe seine Pflicht vernachlässigt, sagte Außenminister Møller in Kopenhagen. Norwegen seinerseits fordert von Syrien Entschädigung für die Verwüstung seiner Botschaft in Damaskus. "Wir werden die Sache vor die Vereinten Nationen tragen", sagte Ministerpräsident Jens Stoltenberg der Nachrichtenagentur NTB.
Das syrische Außenministerium erklärte, dass es die Gewalttaten bedauere. "Wir verstehen die Wut des Volkes über die Beleidigungen des Propheten, aber die Verletzung von Gesetz und Ordnung ist nicht hinnehmbar", hieß es in der Erklärung. Zum Schutz der ausländischen diplomatischen Vertretungen seien zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet worden.
In Gaza stürmten Demonstranten gestern das Gelände der deutschen Vertretung und warfen Scheiben ein. Sie rissen eine deutsche Flagge herunter und verbrannten sie. Das Auswärtige Amt verurteilte die Attacke. Jugendliche griffen auch die Vertretung der EU an.
"Kräfte, die eine Konfrontation wollen"
Das iranische Verkehrsministerium gab bekannt, sämtliche Wirtschaftsverträge mit Dänemark und Norwegen seien eingefroren worden. "Man muss die Wirtschaftsverträge mit dem Land überprüfen und annullieren, das mit diesem abscheulichen Akt begonnen hat, und mit den Ländern, die ihm gefolgt sind", sagte Ahmadinedschad laut der Nachrichtenagentur Insa. Der Präsident habe für die Umsetzung der Maßnahmen ein Gremium gegründet, das aus ranghohen Beamten von Außen-, Industrie-, Öl- und Handelsministerium besteht, hieß es.
ZUM THEMA IN SPIEGEL ONLINE
Ausschreitungen in Beirut: Libanesischer Innenminister tritt zurück (05.02.2006)
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Al-Dschasira-Karikaturist im Interview: "Professionelle Cartoonisten würden so etwas nicht tun" (05.02.2006)
Mohammed-Cartoons: Das gefährliche Spiel mit der religiösen Inbrunst (04.02.2006)
Mohammed-Cartoons: Pakistan bestellt Botschafter ein (04.02.2006)
Heiliger Stuhl: Vatikan kritisiert Mohammed-Karikaturen (04.02.2006)
Cartoon-Debatte: Maulhelden der Meinungsfreiheit (04.02.2006)
Møller rief die Anführer der Gewalt zur Zurückhaltung auf. "Es ist eine kritische Situation", sagte der Minister im dänischen Rundfunk. "Wir versuchen zu erklären, dass genug genug ist." Die Lage dürfe nicht weiter angeheizt werden. Die Verantwortlichen müssten sich jetzt um eine Entspannung bemühen. Die dänische Regierung wolle Muslime nicht beleidigen. "Jetzt geht es um mehr als die Karikaturen. Es gibt Kräfte, die eine Konfrontation unserer Kulturen wollen." Daran könne jedoch niemand ein Interesse haben.
Möller sagte, Falschinformationen und Missverständnisse hätten sich im Nahen Osten ausgebreitet. Die dänischen Medien hatten zuvor berichtet, in Damaskus habe es Gerüchte gegeben, in Kopenhagen sei der Koran verbrannt worden. Der Minister versicherte, dies sei nicht der Fall. "Die einzigen Gruppen, die von dieser Situation profitieren, sind Extremisten und Fanatiker."
Auch der Chef der größten libanesischen Parlamentsfraktion, Saad Hariri, rief heute alle Seiten zu "Ruhe und Verantwortung" auf. Der Sohn des ermordeten Ministerpräsidenten Rafik Hariri kritisierte die "in Damaskus initiierten und nach Beirut exportierten Gewaltakte" gegen westliche Botschaften. Hariri betonte in Paris, dass bei den Kundgebungen in Beirut Ausländer festgenommen worden seien. "Wer auch immer einen Stein auf eine Kirche, ein Auto oder eine Botschaft wirft, wird den höchsten Preis bezahlen", sagte Hariri.
"Brandstiftung kann einen Fehler nicht gut machen"
Auch in Deutschland wächst die Sorge angesichts der Eskalation des Streits. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte es auf der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik "inakzeptabel", Gewalt mit der Verletzung religiöser Gefühle zu legitimieren. "Noch haben wir keinen Kampf der Kulturen, aber wir sind vom angestrebten Dialog weiter entfernt als gewünscht", warnte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Uno-Generalsekretär Kofi Annan erklärte, er teile zwar die Gefühle der Muslime, die die Bilder als verletzend empfänden, dennoch rufe er zur Vergebung auf. Der Vatikan erklärte, die Proteste in der islamischen Welt seien "bedauerlich" und rief die Religionen zu gegenseitigem Respekt auf.
Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana verurteilte jede Form von "Gewalt und Drohungen gegen europäische Bürger". Durch derartige Vorfälle könne "das Bild eines friedlichen Islam nur Schaden erleiden", fügte Solana hinzu. Auch der türkische Ministerpräsident Reccep Tayyip Erdogan erklärte, durch Brandstiftung und Zerstörung könnten "Fehler nicht gut gemacht werden".
Auch der afghanische Präsident Hamid Karzai hat zur Ruhe aufgerufen. Als Muslim fühle er sich durch die Karikaturen zwar "sehr beleidigt", sagte Karzai heute dem US-Nachrichtensender CNN. Er fordere aber seine Glaubensbrüder auf, "oberhalb dieser Kontroverse zu bleiben und sich nicht auf das Niveau derer herabzulassen, die diese Karikaturen veröffentlicht haben". Eine Zeitung dürfe nicht mit einer Nation gleichgesetzt werden.
Liga veröffentlicht antisemitische Zeichnungen
Als Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen verbreitete eine islamische Partei in Europa antisemitische Zeichnungen im Internet. Auf der Website der Arab European League (AEL) erschien gestern eine Zeichnung, die Anne Frank mit Adolf Hitler im Bett zeigt. Eine weitere Karikatur stellte den Holocaust in Zweifel.
Außerdem kündigte die Liga eine Kampagne anti-westlicher Karikaturen an. "Wenn das jetzt die Zeit ist, Tabus zu brechen", schreibt sie auf ihrer Homepage, "wollen auch wir nicht zurückbleiben." Die Zeichnungen seien eine Übung in Pressefreiheit, erklärte die AEL, man zeige sie nicht, weil man ihren Inhalt befürworte. Das mag man bezweifeln. Denn die obskure Gruppe verbreitet auf ihrer Homepage auch die Verschwörungstheorie, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter dem Mord an dem libanesischen Politiker Hariri. Eine Untersuchung der Uno hat bisher klare Hinweise auf eine Verantwortung Syriens ergeben. In einem Text bejubelt die AEL zudem den Sieg der Hamas in den palästinensischen Gebieten. Die Hamas stehe für die "Befreiung Paläsinas vom Meer bis zum Jordan" - mit anderen Worten: für die Vernichtung des Staates Israel.
AEL-Gründer Dyab Abou Jahjah verteidigte die Aktion im niederländischen Fernsehen. "Europa hat seine heiligen Kühe, auch wenn es keine religiösen heiligen Kühe sind", sagte er dem Sender Nova. br />
In Jordanien wurden indes die beiden Chefredakteure, die gestern wegen eines Nachdrucks der Karikaturen festgenommen worden waren, wieder freigelassen. Der Chefredakteuer des Wochenmagazins "Schihan", Dschiha Momani, und der Chefredakteur des Boulevardblatts "al-Mehwar", Hicham al-Chalidi, seien von einem Strafrichter gehört worden, verlautete heute aus Justizkreisen in Amman. Dieser habe die beiden Journalisten wieder auf freien Fuß gesetzt.
Chalidi bestätigte die Angaben. Er unterstütze den Boykott dänischer Produkte und habe die Karikaturen veröffentlicht, um "in der muslimischen Welt eine Reaktion auf diese Angriffe auszulösen", sagte Chalidi. Ihm und Momani war der "Angriff auf religiöse Gefühle" vorgeworfen worden. Beide plädierten auf nicht schuldig. In einigen Tagen müssen sie erneut vor Gericht erscheinen und im Falle einer Verurteilung mit bis zu drei Monaten Gefängnis oder eine Geldstrafe rechnen.
dab/AP/AFP/dpa
05. Februar 2006
AUSSCHREITUNGEN IN BEIRUT
Libanesischer Innenminister tritt zurück
Libanons Innenminister Hassan al-Sabaa hat nach den gewalttätigen Übergriffen auf die dänische Botschaft in Beirut seinen Rücktritt erklärt. Die Organisation der Islamischen Konferenz verurteilte die Ausschreitungen vom Wochenende und bereitet einen Besuch des dänischen Außenministers vor, um gemseinsame Strategien zu beraten.
Beirut - Auch der Nachfolger für Sabaa soll schon feststehen. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf Regierungskreise, dass der amtierende Minister für Jugend und Sport, Ahmad Fattfat, als Innenminister nominiert ist.
Insgesamt rund 20.000 Moslems protestierten am Sonntag in der Hauptstadt Beirut gegen die zuerst in einer dänischen Zeitung veröffentlichten Karikaturen des Propheten Mohammed. Die Armee konnte die aufgebrachte Menge nicht darin hindern, zum dänischen Konsulat vorzudringen. Die Demonstranten bewarfen Polizisten mit Steinen und setzten Fahrzeuge in Brand. Sowohl unter den Demonstranten als auch unter den Sicherheitskräften habe es Verletzte gegeben, erklärte die Polizei.
170 Personen seien verhaftet worden. Nach Angaben eines Sicherheitsbeamten starb ein Demonstrant, der im Konsulatsgebäude von den Flammen eingeschlossen wurde, beim Sprung aus dem Fenster im dritten Stock.
Die Mitarbeiter des dänischen Konsulats hatten in Erwartung der Proteste den Libanon bereits am Samstag verlassen. Das dänische Außenministerium forderte alle Landsleute zum Verlassen des Landes auf.
Dänemarks Außenminister will Islamische Konferenz treffen
Der dänische Außenminister Per Stig Moeller will nun mit der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) über die gewaltsamen Proteste in Syrien und Libanon beraten. Am OIC-Sitz im saudiarabischen Dschiddah könne über Möglichkeiten gesprochen werden, die Lage wieder zu beruhigen, schrieb Moeller nach Angaben eines OIC-Sprechers vom Sonntag in einem Brief an den Generalsekretär der Organisation, Ekmeleddin Ihsanoglu. Dieser begrüße den Vorschlag; der Besuch Moellers werde vorbereitet. Ihsanoglu hatte zuvor die Angriffe auf die Botschaften Dänemarks und Norwegens in Damaskus und Beirut kritisiert. Diese Überreaktionen von Demonstranten seien gefährlich und den Bemühungen abträglich, das berechtigte Anliegen der moslemischen Welt zu verteidigen. Kofi Annan erklärte, er teile die Verzweiflung vieler Muslime nach der Veröffentlichung der Karikaturen, die sie als Beleidigung ihrer Religion empfänden. Zugleich rief er alle Gläubigen auf, die Entschuldigung der dänischen Zeitung anzunehmen. Verbitterung könne Gewalt nicht rechtfertigen.
agö/reuters/ap
05. Februar 2006
CARTOONSTREIT
Ägyptische Zeitung druckt Mohammed-Karikaturen
Eine unabhängige ägyptische Wochenzeitung plant einige der umstrittenen Mohammed-Karikaturen abzudrucken. Der Chefredakteur erklärte, er wolle damit die Verwerflichkeit der Zeichnungen unterstreichen.
Kairo - Die Mohammed-Cartoons sollen am Dienstag in "Al Fagr" erscheinen, sagte Chefredakteur Adel Hamudah. Er habe die Karikaturen dem Internet entnommen. Mit dem Nachdruck wolle er die Verwerflichkeit der Karikaturen unterstreichen.
Wegen der Mohammed-Karikaturen, die zunächst in Dänemark erschienen und inzwischen von mehreren Zeitungen nachgedruckt wurden, ist es im Nahen Osten zu gewaltsamen Aktionen gegen skandinavische Botschaften gekommen. In Syrien stürmten am Samstag Hunderte Menschen die Botschaften Dänemarks und Norwegens und zündeten die Gebäude an, am Sonntag wurde die dänische Landesvertretung im Libanon in Brand gesteckt. Im Gazastreifen attackierten Demonstranten eine Außenstelle des deutschen Verbindungsbüros. Auch "Die Welt" hat die Cartoons veröffentlicht.
agö/ap
06. Februar 2006 Spiegel Online
MOHAMMED-KARIKATUREN
Festnahmen nach Gewaltausbrüchen im Libanon
Nach den gewaltsamen Protesten des Wochenendes gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen wächst die Sorge vor einem Kampf der Kulturen. Im Libanon wurden 200 Personen nach dem Angriff auf das dänische Konsulat festgenommen. Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor Terroranschlägen in Deutschland.
Berlin/Beirut - Nach den gewaltsamen Protesten in Beirut nahm die Polizei rund 200 Menschen fest. Mehr als die Hälfte von ihnen seien Syrer und Palästinenser, erklärte der libanesische Regierungschef Fouad Siniora. Der Angriff auf das dänische Konsulat in Beirut sei "Teil eines Plans zur Destabilisierung, dessen Opfer der Libanon seit mehreren Monaten ist", fügte Siniora hinzu.
Die Ausschreitungen hatten auch politische Folgen: Der libanesische Innenminister Hassan Sabeh trat am Abend zurück, nachdem bei den Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten mindestens 28 Menschen verletzt worden waren. Die Proteste richteten sich gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in dänischen und norwegischen Zeitungen. Am Vortag hatten wütende Demonstranten bereits die dänische und die norwegische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus angegriffen und in Brand gesetzt.
"Gewalt ist unislamisch"
In Deutschland sagte der neu gewählte Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Ayyub Axel Köhler, es sei beschämend, dass sich Muslime in aller Welt zu gewalttätigen Ausschreitungen hätten provozieren lassen. "Ich appelliere an alle Muslime, die Gewalt zu stoppen. Sie ist unislamisch." Köhler bezeichnete die umstrittenen Karikaturen jedoch auch als "blasphemisch, beleidigend und entwürdigend". Zweifellos müsse man als Moslem dagegen protestieren, sagte Köhler kurz nach seiner Wahl der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung".
Der 1963 zum Islam konvertierte Deutsche Ayyub Axel Köhler, 67, ist Nachfolger des langjährigen Zentralrats-Vorsitzenden Nadeem Elyas, der nicht mehr zur Wiederwahl antrat. Der pensionierte Geo-und Wirtschaftswissenschaftler aus Köln wurde am Sonntagabend in Mülheim an der Ruhr gewählt.
Nach Einschätzung des Terrorismusexperten Rolf Tophoven nutzten radikale Prediger den Streit um die Karikaturen, um Hass zu schüren. Der "Passauer Neuen Presse" sagte Tophoven, er halte es für möglich, dass die Auseinandersetzung um die Bilder des Propheten "tatsächlich auf einen Kampf der Kulturen hinsteuert". Die Regierungen in einigen islamischen Staaten hätten Brandstiftungen und andere Äußerungen der Gewalt "duldend in Kauf genommen", sagte der Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik.
Die dortigen Regierungen hätten teilweise Angst, selbst zur Zielscheibe der Gewalt zu werden, deshalb gingen sie "nur zögerlich" gegen die Demonstranten vor, betonte Tophoven. Der deutschen Bundesregierung empfahl er, "damit zu drohen, die Zusammenarbeit mit den Ländern, in denen deutsche Einrichtungen nicht ausreichend geschützt werden, einzustellen".
Der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Friedbert Pflüger (CDU), kritisierte die Veröffentlichung der Mohammed-Cartoons scharf. In der ARD sagte Pflüger am Sonntagabend: "Meinungsfreiheit und Pressefreiheit haben wie jede Freiheit auch ihre Grenze in der Würde des anderen und ich finde, dass das hier überschritten wurde".
Gleichzeitig zeigte sich Pflüger entsetzt über die gewalttätigen Reaktionen und die Boykottaufrufe in islamischen Ländern gegen den Westen: "Da zeigt sich eine fürchterliche Fratze. Da ist viel auch organisiert und nicht spontan". Allerdings müssten die westlichen Gesellschaften "einen Moment innehalten und unterscheiden zwischen brutalen Islamisten einerseits und der großen friedlichen Mehrheit der Muslime andererseits. Wir dürfen kein Interesse am Kampf der Kulturen haben".
Auch Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele kritisierte die Karikaturen. In der ARD sagte er, die Veröffentlichung sei zwar durch die Pressefreiheit gedeckt. "Ob das richtig oder geschickt ist, ist aber eine andere Frage. Jeder Journalist und jeder Verleger sollte sich überlegen, in welcher Situation er was tut."
"Zur Abwehr von Terroranschlägen passiert nichts"
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor dem Hintergrund des Karikaturen-Streits und der Entführung der beiden Deutschen im Irak vor Terroranschlägen in Deutschland. "Wir müssen auch bei uns mit Anschlägen rechnen", sagte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg im Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse". "Und leider passiert zur Abwehr nichts." In Deutschland seien etwa hundert islamistische "Gefährder" bekannt; aus Personalmangel könnten sie aber nicht überwacht werden. "Wenn es eines Tages einen Anschlag gibt, werden sich alle betroffen anschauen und feststellen: Den Täter kennen wir ja."
Der GdP-Vorsitzende kritisierte, dass der Polizei Möglichkeiten zur Vorbeugung und Aufklärung vorenthalten würden: "Weder bei der Anti-Terrordatei noch bei der wichtigen Speicherung von Telekommunikationsverbindungen geschieht etwas." Terroranschläge wie im Juli in London oder im März 2004 in Madrid könnten auch in Deutschland passieren. Dass es nicht am Krieg gegen den Irak teilgenommen habe, schütze Deutschland keineswegs, sagte Freiberg: "Der Westen insgesamt ist für diese Fanatiker das Abgrundschlechte." Er hoffe, "dass die Politiker hier wach gerüttelt werden".
In Indonesien und Thailand demonstrierten wieder etwa 2000 radikale Muslime gegen die umstrittenen dänischen Karikaturen. In der indonesischen Hauptstadt Jakarta zogen etwa 400 Mitglieder einer islamistischen Partei vor ein Gebäude, in dem die dänische Botschaft untergebracht ist und forderten eine Entschuldigung Dänemarks. Mehr als 1000 muslimische Aktivisten verlangten in Bandung in West-Java ein Ende der diplomatischen Beziehungen Indonesiens zu Dänemark. Vor der dänischen Vertretung in Bangkok protestierten rund 500 Muslime.
phw/AFP/ddp/dpa
06. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
Beckstein warnt vor erhöhter Terrorgefahr
Wieder ist es bei Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen zu Gewaltausbrüchen gekommen. In Afghanistan wurde bei einer Demonstration ein Mensch getötet. Bayerns Innenminister Beckstein und die Gewerkschaft der Polizei warnten vor möglichen Terrorakten in Deutschland.
Kabul/Jakarta/Berlin - Während einer Protestkundgebung in der Hauptstadt der ostafghanischen Provinz Laghman gegen die in europäischen Zeitungen veröffentlichten Mohammed-Karikaturen sei es zu einer Schießerei gekommen, teilte die Polizei mit. Dabei wurde ein Mensch getötet. Mindestens drei Menschen wurden verletzt, einer davon schwer.
Die Polizei machte Extremisten mit Verbindungen zu den radikal-islamischen Taliban-Rebellen und dem Terrornetzwerk al-Qaida für die Ausschreitungen verantwortlich. Sie hätten die Menge, die eine Polizeiwache mit Steinen attackiert habe, aufgehetzt und das Feuer eröffnet.
Die Demonstranten forderten den Angaben zufolge die Schließung der dänischen Botschaft in Kabul und den Abzug des afghanischen Botschafters aus Kopenhagen. Außerdem verlangten sie den Abzug des 170 Soldaten umfassenden dänischen Kontingents der Nato-Afghanistan-Schutztruppe Isaf. Auch in der südafghanischen Stadt Kandahar gingen Hunderte Menschen wegen der Karikaturen des Propheten Mohammed auf die Straße, die zuerst in einer dänischen Zeitung veröffentlicht worden waren und anschließend in mehreren europäischen Blättern nachgedruckt wurden. Bereits gestern war es in Afghanistan zu Protesten gekommen.
In der indonesischen Hauptstadt Jakarta demonstrierten Hunderte Menschen vor der dänischen Botschaft. Sie forderten eine Entschuldigung von der dänischen Regierung für die Veröffentlichung der Karikaturen. Die Botschaft blieb geschlossen, gab aber keine Erklärung für den Schritt. Die Demonstranten stellten einen Sarg vor die Vertretung, in dem kleine dänische Flaggen verteilt waren. Der Protest war von der gemäßigten Partei für Gerechtigkeit und Wohlstand organisiert, die große Unterstützung in der Bevölkerung genießt und als nicht gewalttätig gilt. Dutzende Polizisten schützten die Botschaft. Auch in anderen Teilen des Landes kam es zu Protesten. In der zweitgrößten Stadt des landes, in Surabaya, warfen Demonstranten Steine auf das dänische Konsulat. Fensterscheiben gingen zu Bruch.
Im Irak wurden dänische Soldaten nahe der irakischen Stadt Basra nach einem Verkehrsunfall aus einer aufgebrachten Menge heraus beschossen. Wie Verteidigungsminister Søren Gade in Kopenhagen weiter mitteilte, soll untersucht werden, ob Hintergrund des Angriffes vom Vortag möglicherweise Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen waren. Dies sei aber völlig ungewiss, erklärte Gade. Es sei auch denkbar, dass die Menge die Soldaten für die Schuldigen bei dem Unfall gehalten habe, bei dem mehrere Kinder ums Leben gekommen oder schwer verletzt worden waren. Dänemark hatte sich als US-Verbündeter an der Invasion des Landes vor drei Jahren beteiligt und hat etwa 500 Soldaten im südlichen Irak stationiert.
"Erhöhte Aufmerksamkeit"
Nach den Gewaltausbrüchen in der muslimischen Welt hält Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) Terrorakte auch in Deutschland für möglich. Angesichts von Übergriffen auf europäische Einrichtungen im Nahen Osten seien entsprechende Warnungen keine Panikmache, sagte Beckstein im RBB-Inforadio. Er betonte: "Diejenigen, die gewaltbereit sind, werden durch derartige Bilder aus dem Nahen Osten sicherlich angeheizt." Nun müsse in Deutschland erhöhte Aufmerksamkeit herrschen, "ob eine breitere Basis für Proteste auch bei uns entstehen kann".
Der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hatte im Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse" gewarnt: "Wir müssen auch bei uns mit Anschlägen rechnen." Gleichzeitig beklagte er, dass in Deutschland nichts zur Abwehr dieser Gefahr getan werde. So seien in Deutschland etwa hundert islamistische "Gefährder" bekannt; aus Personalmangel könnten sie aber nicht überwacht werden. "Wenn es eines Tages einen Anschlag gibt, werden sich alle betroffen anschauen und feststellen: Den Täter kennen wir ja."
Die von Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) geforderte Androhung des Abbruchs diplomatischer Beziehungen mit jenen Ländern, in denen die Botschaften nicht genügend geschützt worden seien, lehnte Beckstein ab: "Ich glaube nicht, dass das vernünftig wäre." Vielmehr müssten die Gespräche mit den Verantwortlichen fortgeführt werden, um mäßigend auf die Massen einzuwirken.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), ist gegen einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ländern, in denen es wegen der Mohammed-Karikaturen zu anti-westlichen Ausschreitungen gekommen ist. Es komme darauf an, "sehr gelassen, aber auch prinzipienfest zu reagieren", sagte Polenz heute in der ARD. "Abbruch der diplomatischen Beziehungen, das ist ein Schritt, der in diesem Zusammenhang nicht erwogen werden sollte."
"Wir sollten die Kritik an unseren Regeln für Presse- und Meinungsfreiheit zurückweisen (...) und auch deutlich machen, dass die Religionsfreiheit ebenfalls zu den hohen, wichtigen Gütern gehört, die bei uns geschützt sind", sagte Polenz. Bei deren Verletzung drohten Strafen, "aber die Verletzung rechtfertigt eben weder Selbstjustiz noch gar Gewalt".
Mit Blick auf die Ausschreitungen in Syrien sagte Polenz: "Es ist in der Tat nicht so einfach vorstellbar, dass Botschaften in Brand gesetzt werden können, ohne dass die Regierung da rechtzeitig hätte von erfahren können." Ähnlich hatte sich Verteidigungsstaatssekretär Friedbert Pflüger (CDU) in der "Neuen Presse" Hannover geäußert.
phw/AFP/rtr/ddp
06. Februar 2006
MOHAMMED-KARIKATUREN
Iraner stecken deutsche Fahne in Brand
Mehrere tausend wütende Muslime haben auch heute gegen die Mohammed-Karikaturen demonstriert. In Afghanistan kamen bei den Protesten zwei Menschen ums Leben, in Teheran wurde die Botschaft Österreichs angegriffen. Die Demonstranten zündeten dabei eine deutsche Fahne an.
Teheran - Rund 200 Demonstranten hätten Steine gegen die Botschaft geschleudert, sämtliche Fensterscheiben eingeschlagen und kleinere Brände entzündet, die von Feuerwerkskörpern ausgelöst wurden. Die Demonstranten zündeten auch die deutsche Fahne an. Die Polizei löschte die Feuer rasch und hinderte Demonstranten daran, die Botschaft zu stürmen. Österreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.
Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden in Afghanistan mindestens zwei Menschen getötet und sechs weitere verletzt: In der Stadt Mihtarlam feuerte die Polizei auf die Demonstranten, nachdem ein Mann aus der Menge heraus auf die Beamten geschossen hatte. Andere warfen Steine und Messer.
In Kabul demonstrierten rund 200 Jugendliche vor dem Präsidentenpalast, in Kandahar gingen 100 Menschen auf die Straße. Die Polizei in Kabul setzte Schlagstöcke und Gewehrkolben ein, um die Menge aufzulösen. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP sah mindestens drei Verletzte. Einige der Protestierenden zogen weiter zum größten US-Stützpunkt in Kabul und schleuderten Steine auf ein Wachhaus. Dort gingen Fensterscheiben zu Bruch. Auch auf drei geparkte Fahrzeuge der Schutztruppe Isaf wurden Steine geworfen.
In Indien gingen Sicherheitskräfte mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor. In Indonesien und Afghanistan weiteten sich die Proteste auch auf Einrichtungen der USA aus.
Schiiten fordern Fatwa gegen Zeichner
Bei einer Kundgebung im Irak forderten schiitische Demonstranten eine Fatwa gegen die dänischen Zeichner der umstrittenen Karikaturen. Rund 2000 Menschen protestierten nach einem Aufruf des radikalen Schiitenführers Muktada al-Sadr im Zentrum der 175 Kilometer südlich von Bagdad gelegenen Stadt Kut. Auf einem Spruchband forderten sie ihre religiösen Führer zum Erlass einer Fatwa auf, welche die Ermordung der Karikaturisten gestattet. Eine Fatwa ist ein religiöses Gutachten, das feststellt, ob eine Handlung mit dem islamischen Recht, der Scharia, vereinbar ist.
Der Anführer von Sadrs Bewegung in Kut, Mudafar al-Battat, forderte die irakische Regierung bei der Kundgebung zum Abbruch der Kooperation mit Dänemark auf. Die Zeichnungen verletzten nicht nur den Islam, sondern "alle Religionen", betonte er. Der ebenfalls der Sadr-Bewegung angehörende irakische Verkehrsminister Salam al-Maliki hatte gestern das Einfrieren sämtlicher Wirtschaftsverträge mit Dänemark und Norwegen angekündigt. Der dänische Botschafter in Bagdad erklärte heute, er sei über eine solche Entscheidung noch nicht informiert worden.
Eine dänische Patrouille wurde laut einer Meldung der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau im Süden des Irak beschossen. "Wütende Iraker" hätten die Soldaten am Sonntag angegriffen, als diese südlich von Kurna irakischen Kindern erste Hilfe leisteten, die bei einem Verkehrsunfall verletzt worden waren. Die Soldaten hätten daraufhin Warnschüsse in die Luft abgegeben und sich zurückgezogen. Im Irak sind 530 dänische Soldaten unter britischem Kommando stationiert.
Pakistanische Ärzte wollen EU-Medikamente boykottieren
Pakistanische Ärzte wollen wegen der Mohammed-Karikaturen Medikamente aus europäischen Staaten boykottieren. Die Entscheidung werde mit sofortiger Wirkung umgesetzt, sie richte sich gegen Dänemark, Norwegen, Deutschland, Frankreich und die Schweiz, teilte der Generalsekretär der pakistanischen Ärzte-Vereinigung in der Provinz Punjab, Shahid Rao, heute in Multan mit. Die Entscheidung sei einstimmig getroffen worden.
Statt der Medikamente aus Europa sollten "alternative" Heilmittel eingesetzt werden, sagte Rao. Dies werde so lange gelten, bis "aus diesen Ländern eine öffentliche Entschuldigung kommt". Apotheker hätten bereits zugesagt, dass sie den Verkauf der europäischen Präparate einstellten.
Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" erwägt eine gemeinsame Erklärung mit Imamen der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu den umstrittenen Mohammed-Karikaturen. Chefredakteur Carsten Juste sagte im dänischen Rundfunk, ein entsprechender Vorschlag von muslimischer Seite sei "ganz bestimmt bedenkenswert".
Als Sprecher der Glaubensgemeinschaft hatte Imam Ahmed Akkari vorgeschlagen, dass "Jyllands-Posten" sich gegenüber Muslimen in einer gemeinsamen Erklärung "unzweideutig" für die Veröffentlichung der Karikaturen vor vier Monaten entschuldigt. Umgekehrt würden die Imame zur Beendigung der Proteste aufrufen.
als/ap/Reuters/dpa/afp
06. Februar 2006
KARIKATUREN-STREIT
Merkel will westliche Werte betonen
Die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen kochen hoch: In Afghanistan wurden Menschen getötet, Iran setzte den Handel mit Dänemark aus. Der Westen steht dem Treiben der wütenden Muslime weitgehend fassungslos gegenüber. Bundeskanzlerin Merkel hat jetzt dazu aufgerufen, einen selbstbewussten Dialog mit der islamischen Welt zu führen.
Kabul/Teheran/Paris/Berlin - Kampf und Chaos weltweit, sogar vier Menschenleben fallen den Protesten der wütenden Muslime im Streit um die Mohammed-Karikaturen zum Opfer. Angesichts der verfahrenen Situation hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Gespräch aufgerufen.
Kanzlerin Angela Merkel: "Das heißt, dass wir gesprächsbereit sind"
Kein Kampf, sondern ein Dialog der Kulturen soll ihr zufolge aus der Misere herausführen und zwar mit einer selbstbewussten Haltung des Westens: "Wir haben sicherlich diesen Dialog der Kulturen noch nicht ausreichend geführt. Die Ereignisse sind für uns eine Aufforderung, sich diesem Dialog zu stellen, sich auch unserer eigenen Werte zu vergewissern und diese Werte mit Klarheit zu artikulieren", sagte Merkel in einem Interview mit dem ZDF.
Die Kanzlerin betonte, dann werde man bei denen, die einer anderen Religion verpflichtet sind, Aufmerksamkeit finden. Man müsse versuchen, die Kluft zwischen der westlichen und der islamischen Kultur zu überwinden. Merkel verknüpfte ihre Aufforderung zum Dialog mit der islamischen Welt dabei mit einem klaren Signal an ihr Gegenüber: "Das heißt, dass wir gesprächsbereit sind. Dass wir unsere Überzeugungen haben, für die wir auch einstehen."
Dies machte Merkel gleich damit deutlich, dass sie die gewaltsamen Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen deutlich ablehnte und gleichzeitig die Pressefreiheit verteidigte: "Ich kann die Gefühle vieler Muslime verstehen, aber ich sage auf der anderen Seite, dass es für uns ein unabdingbares Gut ist, dass es die Freiheit der Presse gibt", sagte die Kanzlerin. Es sei nicht akzeptabel, dass Gewalt angewendet werde, wenn Gefühle verletzt worden seien. "Und deshalb ist diese Gewaltanwendung aus meiner Sicht absolut zu verurteilen."
In einem Telefonat mit Dänemarks Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen hatte die Kanzlerin zuvor ebenfalls ihre Sorge über die anti-dänischen Ausschreitungen zum Ausdruck gebracht und die Krawalle als "inakzeptabel" bezeichnet. Die Karikaturen des islamischen Religionsstifters Mohammed waren zuerst im vergangenen Herbst in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" veröffentlicht worden. Dänemark war deshalb besonders ins Visier wütender Muslime gerückt. Dänische und andere europäische Einrichtungen sind deshalb seit Tagen das Ziel von Übergriffen.
Mehrere Tote bei Protesten von Muslimen
Die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen hatten am Montag weltweit immer brutalere und bizarrere Formen angenommen: In Afghanistan wurden drei Menschen getötet. Bei einer Schießerei unter Demonstranten vor dem US-Militärstützpunkt Bagram 60 Kilometer nördlich von Kabul seien zwei Menschen getötet und fünf verletzt worden, sagte der Chef des Distriktes Bagram, Kabir Ahmad. Zuvor war bereits bei Protesten in Mihtarlam, der Hauptstadt der Provinz Laghman östlich von Kabul, ein Demonstrant ums Leben gekommen, als die Polizei das Feuer eröffnete. In Beirut erlag einer der Männer, die dort am Vortag das dänische Konsulat gestürmt und in Brand gesetzt hatten, nach Angaben der Polizei seinen schweren Kopfverletzungen.
Die iranische Regierung stoppte heute den Handel mit Dänemark. Alle Arten von Handelsabkommen oder -verhandlungen seien ab sofort unterbrochen, sagte der iranische Handelsminister Masud Mir-Kasemi laut dem staatlichen Fernsehen. Auch gegenseitige Besuche von iranischen und dänischen Handelsdelegationen werde es bis auf weiteres nicht geben, sagte der Minister weiter. Nach Angaben des Ministers beträgt das jährliche Handelsvolumen zwischen dem Iran und Dänemark 280 Millionen Dollar (234 Millionen Euro). Da Iran aber viel mehr aus Dänemark importiert habe als exportiert, werde sich die Entscheidung für Iran nicht negativ auswirken.
Angriffe auf Botschaften in Teheran
Am Abend griffen Demonstranten in Teheran die dänische Botschaft an. Nach Angaben von Augenzeugen warfen die mehr als 200 Menschen Steine und Brandsätze auf die Botschaft. Die iranische Polizei versuchte, die aufgebrachte Menge mit Tränengas daran zu hindern, in das Gebäude einzudringen. Dennoch gelang es drei Demonstranten Stacheldraht und Mauern zu überwinden, das Gelände zu stürmen und Teile der Einrichtung zu verwüsten. Außerdem versuchten sie, die Botschaft in Brand zu setzen.
Vor der österreichischen Botschaft in Teheran hatten zuvor rund 200 Demonstranten gegen die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen demonstriert. Sie schleuderten Steine gegen die Botschaft, schlugen einige Fensterscheiben ein und entzündeten kleinere Brände, die von Feuerwerkskörpern ausgelöst wurden. Auch eine deutsche Fahne wurde dabei in Brand gesteckt. Die Polizei löschte die Feuer rasch und hinderte Demonstranten daran, Steine zu werfen.
Aufgebrachte Muslime demonstrierten auch in Ägypten, Indonesien, Thailand, Indien, den Palästinensergebieten und auf den Philippinen gegen die Karikaturen.
Pakistanische Ärzte wollen wegen der Mohammed-Karikaturen Medikamente aus europäischen Staaten boykottieren. Die Entscheidung werde mit sofortiger Wirkung umgesetzt, sie richte sich gegen Dänemark, Norwegen, Deutschland, Frankreich und die Schweiz, teilte der Generalsekretär der pakistanischen Ärzte-Vereinigung in der Provinz Punjab, Shahid Rao, heute in Multan mit. Die Entscheidung sei einstimmig getroffen worden.
USA und Annan bemühen sich um Mäßigung
In Österreich traten 30 muslimische Zeitungsboten in einen Streik, nachdem die zweitgrößte Zeitung des Landes die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt hat. Wie die "Kleine Zeitung" mitteilte, weigerten sich die Boten, das Blatt heute auszutragen. 1000 Abonnenten hätten ihre Zeitung deswegen nicht im Briefkasten gehabt. "Wir sprechen mit den Streikenden", sagte Grossist Kurz Schügerl. Wer sich morgen weiter weigere, die "Kleine Zeitung" auszutragen, werde entlassen.
Nach der Veröffentlichung der umstrittenen Karikaturen wurden in der Pariser Tageszeitung "France Soir" heute die Redaktionsräume wegen einer Bombendrohung vorübergehend geräumt. Das Gebäude wurde am Nachmittag evakuiert und mit Hilfe eines Spürhundes nach Sprengstoff abgesucht. Die Polizei errichtete Sicherheitsabsperrungen. Nach knapp drei Stunden konnten die Mitarbeiter an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.
Die US-Regierung hat die gewalttätigen Ausschreitungen heute erneut verurteilt. Sie appellierte an die Regierungen muslimischer Staaten, Schritte zur Entspannung der Lage zu unternehmen. Die USA hatten schon am Wochenende der syrischen Regierung vorgeworfen, die in Brand gesetzten Botschaften Dänemarks und Norwegens nicht geschützt zu haben.
"Wir verurteilen jede Form von Gewalt. Es muss einen konstruktiven und friedlichen Dialog geben, geprägt von Respekt gegenüber allen Glaubensrichtungen", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan.
Die USA verstünden zwar, warum sich Muslime von den Karikaturen des Propheten Mohammed angegriffen fühlten, unterstützten aber das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Redefreiheit in der westlichen Welt. Damit müsse indes verantwortungsvoll umgegangen werden. Die USA hatten in der vergangenen Woche zunächst Verständnis für die Proteste geäußert.
Uno-Generalsekretär Kofi Annan rief die Muslime auf, Entschuldigungen dänischer Medien für die Veröffentlichung der umstrittenen Mohammed-Karikaturen anzunehmen. Er verstehe, dass sie durch die Zeichnungen verletzt seien und teile ihren Schmerz, sagte Annan während einer Konferenz in Dubai. "Aber ich kann keine Gewalt rechtfertigen, vor allem keine Angriffe gegen unschuldige Menschen", sagte er und rief religiöse und weltliche Führer zu verstärktem Dialog zwischen ihren Gemeinschaften auf. Die Muslime sollten sich so verhalten, "wie es der allmächtige Gott, der mitfühlend und barmherzig ist", wünschen würde, sagte Annan.
fok/ap/dpa/
06. Februar 2006 Spiegel Online
KARIKATUREN-STREIT
"Wir wollen muslimische Leser nicht beleidigen"
Von Sebastian Borger, London
In London zog bisher nur ein Häuflein radikaler Demonstranten vor die dänische Botschaft. Auf den Plakaten war zu lesen: "Schlachtet diejenigen, die den Islam beleidigen". Doch die sonst wenig zimperlichen britischen Blätter halten sich im Karikaturen-Streit auffällig zurück.
Die Slogans der Demonstranten ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wer den Islam beleidige, müsse "geschlachtet" werden, forderte ein Plakat, "vernichtet" stand auf einem zweiten. Ein drittes konkretisierte die Strafe: Die Beleidiger gehören "geköpft". Neben den Plakatträgern marschierten junge Männer im Outfit von Selbstmord-Attentätern zur dänischen Botschaft im feinen Londoner Stadtteil Knightsbridge - und das im Herzen der Stadt, in der vor einem halben Jahr vier fanatisierte junge Männer 52 U-Bahn- und Buspassagiere in den Tod gerissen hatten.
Dass der mörderische Anschlag kein Einzelfall bleiben werde, prophezeite ein anderes Plakat: "Die phantastischen Vier sind unterwegs." Einer der rund 500 Demonstranten hatte seiner zweijährigen Tochter die Mitteilung "Ich liebe al-Qaida" auf die Mütze drapiert. Andere forderten "einen echten Holocaust".
Unbeteiligte Beobachter hätten am Freitag glauben können, dass auch in Großbritannien der Karikaturen-Kulturkrieg ausgebrochen sei. Dabei herrschte in den britischen Blättern erstaunliche, geradezu gespenstische Einmütigkeit. Keine einzige Zeitung mochte sich vergangene Woche dazu entschließen, die kruden Mohammed-Zeichnungen aus Dänemark nachzudrucken - die Regierung nahm's lobend zur Kenntnis. Die Medien hätten "erhebliche Verantwortung und Sensibilität" bewiesen, teilte Außenminister Jack Straw mit und verteilte Zensuren an Andersgläubige: Der Abdruck der Karikaturen sei "unsensibel, respektlos und falsch".
Vom Minister weiß man, dass er diese Dinge beurteilen kann. Immerhin ist in seinem Wahlkreis Blackburn mehr als ein Viertel der Bevölkerung muslimischen Glaubens. Zu guter Letzt gab Straw noch zu Protokoll, dass die Regierung die freie Meinungsäußerung schützen und bewahren wolle.
Früher "Pakis", heute "Muslims"
Daran hat eine breite Koalition von Kirchenleuten wie dem früheren anglikanischen Erzbischof von Canterbury, Lord Carey, über die Oppositionsparteien bis zu Komikern wie Rowan Atkinson ("Mr. Bean") erhebliche Zweifel geäußert, als in den vergangenen Wochen das Gesetz gegen religiöse Hetze diskutiert wurde. Sie sahen die Meinungsfreiheit in akuter Gefahr. Als Beispiel verwiesen sie auf eine junge Kriegsgegnerin, die kürzlich am zentralen Kriegerdenkmal in der Nähe des Unterhauses die Namen der mittlerweile 100 im Irak getöteten britischen Soldaten verlesen hatte und dafür mit Hilfe der neuen Anti-Terrorgesetze strafrechtlich belangt worden war - wegen Verletzung der Bannmeile ums Parlament.
Das neue Gesetz ist als Instrument gegen Rassisten gedacht, die, statt wie früher "Pakis" zu sagen, jetzt abschätzig von "Muslims" reden. Die Maßnahme gehörte zu Labours Versprechen bei der jüngsten Unterhauswahl im vergangenen Mai - sicher auch als Geste der Versöhnung an jene muslimischen Wähler, die Labour für Tony Blairs Beteiligung am Irak-Krieg bestrafen wollten. Das Oberhaus ließ dem Gesetzentwurf einige vernünftige Korrekturen angedeihen, vergangene Woche erlitt die Regierung im Unterhaus eine seltene Abstimmungsniederlage, als sie die Korrekturen rückgängig machen wollte.
"Sun" will "hochgeschätzte muslimische Leser" nicht beleidigen
Jetzt wird auf der Insel die akademisch anmutende Diskussion darüber geführt, ob das Gesetz in seiner ursprünglichen Form den Abdruck der Mohammed-Karikaturen unter Strafe gestellt hätte. Dabei lässt sich Londons Fleet Street sonst von Strafandrohungen kaum schrecken: Immer wieder werden "im öffentlichen Interesse" Geheimdokumente der Regierung oder wenig vorteilhafte Fotos von Prominenten gezeigt und abgedruckt - der Wahrheitsfindung dienen sie, vorsichtig gesagt, nicht immer.
Da mutete es kurios an, wie etwa der linksliberale "Guardian" begründete, warum das Blatt zwar die Karikaturen nicht abdruckte, seinen Lesern aber einen - übrigens untauglichen - Link zu einer Website mitteilte: "Zeitungen sind nicht dazu verpflichtet, anstößiges Material nur deshalb zu veröffentlichen, weil es umstritten ist." Rupert Murdochs konservative "Times" traf die gleiche Entscheidung. Es gebe in der Frage "nicht Schwarz oder Weiß". Immerhin wies der "Times"-Leitartikler auch darauf hin, dass der heilige Zorn glaubwürdiger wäre, "wenn man im Nahen Osten nicht dauernd auf Bilder träfe, die üble Beleidigungen für Juden und Christen darstellen".
Murdochs Boulevardblatt "Sun", das wie die meisten britischen Zeitungen unter konstantem Auflageschwund leidet, nahm wie immer kein Blatt vor den Mund: "Wir sehen keinen Grund, absichtlich unsere hochgeschätzten muslimischen Leser zu beleidigen". Auch der "Telegraph" übte sich in Beschwichtigung: "Muslime der Welt, seid vernünftig", schrieb das Hausblatt der konservativen Opposition und echote damit jenen jordanischen Chefredakteur, der für den Abdruck der Karikaturen prompt gefeuert wurde.
Nur die BBC schert aus
Ausgerechnet die brave BBC, die sonst oft der veröffentlichten Meinung hinterhersendet, bewies diesmal Eigenständigkeit. In der Hauptnachrichtensendung wurden die Titelseite von "France Soir" und damit auch die anstößigen Zeichnungen kurz gezeigt. Ebenso entschied sich der Minderheitenkanal Channel Four.
Heute herrscht nun wieder weitgehende Einigkeit, diesmal in der Empörung über die üblen Slogans der Demonstranten vom Wochenende. "Sperrt ihn ein", forderte die "Sun" auf der Titelseite neben einem Foto des kostümierten Selbstmord-Attentäters. Der linke "Mirror" pflichtete bei: Die tolerante britische Lebensart müsse "robust gegen ihre Feinde verteidigt" werden. Und der "Guardian"-Leitartikler verlangte kurz und bündig: "Wer Tötungen androht, sollte für solche Drohungen zur Rechenschaft gezogen werden."
Zustimmend lassen die Zeitungen Oppositionspolitiker wie Schatten-Innenminister David Davis zu Wort kommen, der die Slogans "für eine ernste Straftat" hält. Auch Labour-Hinterbänkler und die Sprecher gemäßigter muslimischer Organisationen forderten eine rasche Strafverfolgung, stießen damit aber bei der Polizei auf taube Ohren. "Keine Sorge, die werden alle fotografiert", hatte ein Beamter am Freitag empörten Passanten erklärt, die auf die Hetzplakate hinwiesen. Festnahmen? Die, erläutert ein Polizeisprecher, werde es, "wenn überhaupt, zu einem geeigneten Zeitpunkt" geben.
06. Februar 2006
BADEN-WÃœRTTEMBERG
Muslim-Schelte bringt CDU-Minister in Bedrängnis
Von Sebastian Christ
Kaum ist die baden-württembergische CDU zur Ruhe gekommen, bahnt sich schon der nächste Skandal an. Europa-Minister Willi Stächele hat Muslime, die Koran und Verfassung nicht für vereinbar halten, öffentlich zum Verlassen des Landes aufgefordert.
Stuttgart - Schon wieder sorgen umstrittene Äußerungen eines baden-württembergischen CDU-Politikers für Wirbel. Nachdem Andreas Renner vor zehn Tagen im Streit mit dem Bischof von Rottenburg-Stuttgart sein Amt als Sozialminister räumen musste, steht jetzt Europaminister Willi Stächele in der Kritik. Auf dem "Jahresauftakt" des CDU-Ortsverbands Eningen (Kreis Reutlingen) soll er am vergangenen Wochenende gegen Muslime in Deutschland polemisiert haben.
Der Regionalsender RTF.1 zitiert Stächele wie folgt: "Es kann nicht sein, dass ich mich entschuldigen muss für das deutsche Grundgesetz. Da muss die erste Frage sein: Zählen Sie zu denen, die Schmerzen empfinden, wenn sie vom Grundgesetz hören? Ja? Hier isch die Fahrkart'!"
Vorangegangen war eine Diskussion um den Einbürgerungstest in Baden-Württemberg. "Der Kollege Innenminister Rech hat mir gesagt, mittlerweile haben wir von den hier lebenden Moslems 21 Prozent, die sagen, der Koran ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar", so Stächele. "Die 21 Prozent sollen gefälligst wieder weggehen. Das sag ich in aller Deutlichkeit, und da nehm' ich auch kein Blatt vor den Mund."
"Stimmungsmache übelster Art"
Heftige Kritik kam vom Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, Winfried Kretschmann. "Stächele fordert faktisch die Abschiebung von 21 Prozent der Muslime in Deutschland aufgrund einer Umfrage. Das ist rechtlich völlig ausgeschlossen und nur Stimmungsmache übelster Art." Kretschmann zog eine Verbindung zum Streit um die Karikaturen des Propheten Mohammed. "Wir müssen unmissverständlich die Verfassungswerte wie die Pressefreiheit gegen fanatische Islamisten verteidigen. Wir brauchen dabei Augenmaß und Mäßigung, und nicht Säen von Misstrauen und die Vergiftung der Atmosphäre."
In einem offenen Brief forderte Kretschmann Ministerpräsident Günther Oettinger auf, sich von Stächeles Äußerungen zu distanzieren. Oettinger wollte sich heute zu den Vorgängen aber nicht äußern.
Auch die SPD zeigte sich empört. "Stächele erschwert mit seinen Äußerungen eine vernünftige Integrationspolitik", so der SPD-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Wolfgang Drexler. Es gebe einen direkten Zusammenhang mit dem Einbürgerungsfragebogen der Landesregierung. Dass Baden-Württemberg "an diesem teils dümmlichen, teils demagogischen Fragebogen" festhalte, lege den Verdacht nahe, dass "Stimmenfang am rechten Rand" betrieben werden solle. Die SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt befand Stächeles Ausführen für "ziemlich unwürdig".
Doch nicht nur bei der Opposition sorgt Stächele für Unverständnis. Auch vom eigenen Koalitionspartner gab es Kritik. FDP-Landtagsfraktionschef Ulrich Noll mahnte, "integrationsfeindliche Signale zu unterlassen".
Stächele verteidigte heute seine Äußerungen. Die deutsche Gesellschaft werde in ihren Werten vom Grundgesetz geprägt. "Wer damit nicht zurecht kommt, muss sich fragen lassen, ob er nicht woanders besser zurecht kommt", sagte er. Und fügte hinzu: "Von Abschiebung war nie die Rede."
Bei der Parteiveranstaltung in Eningen hatte sich Stächele außerdem zum Länderfinanzausgleich geäußert. In Bezug auf die höheren Bundesergänzungszuweisungen für Bremen und das Saarland sagte er: "Wir werden wohl wieder vor das Bundesverfassungsgericht gehen müssen." Er schlug eine Neugliederung des Bundes in "sieben bis acht starke Länder" vor.
KARIKATUREN-STREIT Spiegel Online 07.02.06
Demonstranten attackieren norwegische Nato-Soldaten
Die Proteste gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen weiten sich weiter aus. In Afghanistan griffen jetzt Demonstranten norwegische Nato-Soldaten an. Die dänische Regierung rief seine in Indonesien lebenden Bürger auf, das Land zu verlassen.
Moskau/Jakarta/Kabul - Eine aufgebrachte Menschenmenge bewarf den Stützpunkt norwegischer Soldaten in der nordwestafghanischen Stadt Majmana mit Steinen. Die Soldaten setzten Tränengas ein, wie eine Sprecherin der Nato-Truppe, Annie Gibson-Sexton, mitteilte. Zwei Passanten wurden von Steinen verletzt, mehrere Demonstranten mussten wegen Augenreizungen behandelt werden.
Die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen, die erstmals in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" veröffentlicht worden waren, wurden unter anderem auch von einer norwegischen Zeitung nachgedruckt.
Die dänische Regierung ist um die Sicherheit seiner Bürger besorgt. Der dänische Botschafter Geert Aagaard Anderson erklärte heute, das Außenministerium empfehle allen Dänen, Indonesien zu verlassen. Diejenigen, die Reisen nach Indonesien planten, sollten sie verschieben. Es gebe keine angemessenen Sicherheitsvorkehrungen in Indonesien, sagte Anderson mit Bezug auf die Angriffe auf dänische Einrichtungen.
Die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen haben sich jetzt auch auf die Philippinen ausgeweitet. In der südlichen Stadt Cotabato versammelten sich heute rund 5000 Muslime zu einer Demonstration und verbrannten eine dänische Flagge. Die Teilnehmer der Kundgebung forderten die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo auf, die Beziehungen zu Dänemark zu beenden. Dutzende Polizisten standen bereit, um bei möglichen Ausschreitungen einzugreifen.
Die Philippinen sind das einzige mehrheitlich katholische Land Asiens. Nur etwa acht Prozent der schätzungsweise 85 Millionen Einwohner bekennen sich zum Islam. Gestern hatte es teils gewaltsame Proteste gegen die Mohammed-Zeichnungen in Indonesien gegeben, dem nach der Bevölkerungszahl größten muslimischen Land der Welt.
In Pakistan nahmen heute rund 5000 Menschen an der bisher größten pakistanischen Demonstration seit Beginn des Karikaturen-Streits teil. Die aufgebrachte Menschenmenge in der Grenzstadt Peschawar verbrannte Puppen, die den dänischen Regierungschef und einen der dänischen Karikaturisten darstellen sollten. Angeführt wurde die Kundgebung von dem Chefminister der Provinz, Akram Durrani.
Tschetschnien kündigte an, keine dänischen Gruppen mehr ins Land einreisen zu lassen. "Wir werden sie nicht mehr reinlassen, weil sie mit den Gefühlen von 1,5 Milliarden Menschen spielen", sagte der Regierungschef der abtrünnigen russischen Kaukasusrepublik, Ramsan Kadirow, gestern im Fernsehsender NTV. Im Übrigen sei Dänemark "schon immer ein Provokateur gewesen".
Seit Tagen wüten in der islamischen Welt Proteste gegen die Zeichnungen. In der iranischen Hauptstadt Teheran hatten gestern hunderte Demonstranten Steine und Brandbomben auf die dänische Botschaft geworfen. Auch die österreichische Botschaft wurde angegriffen. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften wurden in Afghanistan und Somalia mindestens fünf Menschen getötet.
hen/AFP/AP/dpa
07. Februar 2006
ANGST VOR ÃœBERGRIFFEN
Dänische Sportler verzichten auf Turniere in Arabien
Der Streit über die Mohammed-Karikaturen greift nun auch auf den Sport über: Aus Sicherheitsgründen meiden Dänemarks Tischtennisspieler die Turniere der Pro-Tour in Katar und Kuwait. Die Regierung des skandinavischen Landes hatte den Verband zum Umdenken bewegt.
Kopenhagen - "Wir werden nicht nach Katar und Kuwait gehen, weil wir das Leben unserer Spieler im aktuellen Klima anti-dänischer Demonstrationen nicht riskieren wollen", sagte Aksel Beckmannm, Präsident des dänischen Tischtennis-Verbandes.
Nach Übergriffen fanatischer Muslime auf dänische Einrichtungen in mehreren islamischen Staaten als Reaktion auf als anti-muslimisch empfundene Karikaturen in dänischen Zeitungen hatte das dänische Außenministerium vor Reisen in insgesamt 14 Länder gewarnt. Dazu gehört unter anderem Katar.
knu/sid
Spiegel Online soeben:
CARTOON-STREIT
Iranische Zeitung plant Karikatur-Wettbewerb über Holocaust
Der Konflikt über die Mohammed-Bilder wird immer abstruser. Irans größte Zeitung plant jetzt als Reaktion auf die "Jyllands-Posten"-Veröffentlichung einen Karikatur-Wettbewerb über den Holocaust. Die besten Zeichner sollen mit Goldstücken belohnt werden.
Teheran - "Es wird ein internationaler Karikatur-Wettbewerb über den Holocaust", sagte Farid Mortazavi, der Grafiker der Zeitung "Hamschahri", die von der konservativen Teheraner Stadtverwaltung herausgeben wird. Der Westen habe die "frevlerischen Mohammed-Karikaturen" mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit gedruckt. "Jetzt lasst uns sehen, ob sie meinen, was sie sagen, und auch die Holocaust-Karikaturen drucken", sagte er laut einem Bericht des arabischen TV-Senders al-Dschasira. Es solle nun die vom Westen viel zitierte Meinungsfreiheit ausgelotet werden. Die besten Zeichner sollen mit Goldstücken belohnt werden.
"Die wichtige Frage für Muslime lautet: Erlaubt die Meinungsfreiheit des Westens die Beschäftigung mit Fragen wie die Verbrechen Amerikas und Israels oder einem Zwischenfall wie dem Holocaust, oder ist die Meinungsfreiheit nur dazu gut, die heiligen Werte von göttlichen Religionen zu beleidigen?", hieß es in einer Erklärung der Zeitung.
Der Gründer des Simon-Wiesenthal-Zentrums zeigte sich entsetzt über die Pläne. Damit folge Iran "der klassischen Formel von Adolf Hitler, wonach immer die Juden schuld sind, wenn es irgendwo ein Problem gibt", sagte Rabbi Marvin Hier der Nachrichtenagentur AFP. "Sie gehen nach dem Drehbuch von 'Mein Kampf' vor und folgen ihm Kapitel für Kapitel."
In den vergangenen Tagen ist es in mehreren muslimischen Staaten zu Ausschreitungen gekommen, weil in mehreren Ländern des Westens Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht worden waren. Zuerst waren sie in einer dänischen Zeitung erschienen. Iran hat die Handelsbeziehungen zu Dänemark inzwischen ausgesetzt. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte im vergangenen Jahr mehrfach den Holocaust geleugnet und dazu ausgerufen, Israel von der Landkarte zu tilgen.
hen/Reuters/AFP
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