KOMMENTAR
Alptraumbilder aus den Killing Fields
Von Claus Christian Malzahn
Heute hat das Kabinett die Verlängerung des KSK-Einsatzes in Afghanistan beschlossen - kurz nachdem der Skandal um makabre Bundeswehr-Bilder an die Öffentlichkeit gelangte. Hat die deutsche Armee out of area die Bodenhaftung verloren?
Berlin - Die Bundeswehrsoldaten, die im Frühjahr 2003 während einer Patrouille vor den Toren Kabuls ihre makabren Spiele mit einem Totenschädel trieben und diese nekrophilen Späße gleichzeitig auch noch fotografisch festhielten, müssen mit disziplinarischen und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Nach den Zweifeln am gesetzestreuen Verhalten von Mitgliedern des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan passt diese unappetitliche Geschichte heute bestens ins Bild einer durchgeknallten deutschen Armee, die in Afghanistan langsam, aber sicher die Bodenhaftung zu Verfassung und Grundgesetz verloren hat.
Denn die Würde des Menschen ist im Krieg durchaus antastbar, egal ob bei Misshandlungen von Gefangenen oder bei Streifenfahrten, bei denen man zum Zeitvertreib Basketball mit Totenköpfen spielt. Solche Vorkommnisse sind nicht zu entschuldigen, auch nicht mit der besonderen Dauerstresssituation, mit der Soldaten in Krisen- und Kriegsgebieten fertig werden müssen.
Auch die Regierung ist verantwortlich
Doch es wäre heuchlerisch, die Verantwortung für solche Ungeheuerlichkeiten nur bei den unmittelbaren Tätern abzuladen. Die Bilder stammen aus einer Gegend, in der Alpträume heller Alltag sind. Die Verantwortung für das Fehlverhalten der Soldaten trifft deshalb auch die politische und militärische Führung der Armee. Besonders die rot-grüne Regierung hat die Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr heuchlerisch als bewaffnete Sozialarbeiterkommandos getarnt.
Mich wundert zunächst einmal, warum Niemand fragt, wo der Schädel gefunden wurde. Jahrzehnte dauern die Kriege in Afghanistan nun an. Wer will wissen, ob es sich nicht um einen ehemaligen Sowjet-Soldaten handelt, der kein Grab fand?
Die Unsicherheit der gesamten deutschen Führungselite, gepaart mit den schrecklich ernsten Gesichtern von Militärs und Bundeswehr-Fachleuten im TV, basiert noch auf der Geschichte mit dem jüdischen Zahn, der in das Holocaustdenkmal in Berlin eingelassen werden sollte. Einhellig reklamierten jüdische Mitbürger eine Verletzung ihrer Bestattungsriten. Im Falle des Schädels nun reklamierte kein einziger Jude irgendeine Verletzung. Trotzdem ist das Entsetzen unter Deutschen groß, möglicherweise aus Angst, wieder einmal ins Fettnäpfchen zu treten. Die Pietät ist geheuchelt. Vor gar nicht so langer Zeit häuften Deutsche gut sechs Millionen Schädel an, ganze Berge entstanden, die Pietät hatte dafür einen propagandischen Begriff geprägt: "Trotzdem sauber geblieben zu sein." Haben die kleinen Soldaten, auf die jetzt der Unbill in Bergen herabrollt, den Unbekannten des Schädels etwa getötet. Nein!
Eine andere Angst kommt hinzu. Man befürchtet, dass das dienende Verhalten der Bundeswehr in Afghanistan einen Kratzer bekommt. Das Geschrei aber macht den Kratzer erst. Von katholischer Seite war bislang noch nichts zu hören, soviel ich weiß. Dort ist man Vanitas-Darstellungen mit Totenschädeln gewohnt. Tausende Beispiele der Kulturgeschichte mit hunderten der besten Künstler und Philosophen nahmen sich des Themas an und stellten den Totenschädel als Vergänglichkeitssymbol dar. Noch dazu befindet sich der Schädel Adams symbolisch unter dem Kreuz Christi.
Gerade weil die Soldaten angeblich obszöne Demonstrationen mit dem Totenschädel fotografierten, kann in diesem Verhalten auch ein berechtigtes Vanitas-Happening entdeckt werden. Dem Totenschädel, dem drohenden Tod im Land, wurde ein männliches Glied entgegengehalten. Zeugung und Leben vertreiben den Tod. Die Szene wird nur deshalb so entsetzlich verbogen, weil man den jungen Soldaten keinen Instinkt, sondern nur Unsinn zutraut.
Vom Instinkt her gesehen, haben die Soldaten die Konfrontation mit dem allgegenwärtigen Tod in Afghanistan dargestellt - und sie hatten Recht. Die Szene ist wahr, das moralische Geschrei ist verlogen. Es kommt von denen, die Soldaten vom Schreibtisch aus in den möglichen Tod schicken.
Unser Außenminister tutet nun auch in das allgemeine Horn, das die Kulturgeschichte nicht kennt, weil individuelle Beschäftigung mit Vanitas-Darstellungen in Museen fehlt und nun Angsturteile ans publizistische Land schwimmen.
Eine kluge Politik wäre anders. Der Fall bietet die Chance, dass Deutschland sich „reumütig“ aus Afghanistan zurückziehen kann. Die Reue ist dann der Schutz Deutschlands vor dem Terrorismus. Natürlich würde man sich geradezu überschlagen und sagen, die Reue sei nicht nötig. Wenn aber deutsche Politik dann fest bleibt, könnte unser Land richtungweisend werden. In Zukunft wird es nämlich nur noch darum gehen, wie sich westliche Länder am besten herausmanövrieren. Eine solche Chance, wie sie Deutschland jetzt hat, kommt nicht wieder.