Heidemarie Wieczorek-Zeul: Nein, er ist ja schon seit den siebziger Jahren ein hoch anerkannter Innovator in der Entwicklungspolitik. Wenn überhaupt, hätte ich erwartet, dass er schon früher geehrt wird. Aber ich freue mich, dass er jetzt den Preis erhält. Er ist wohlverdient.
Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (SPD): "Der Preis ist wohlverdient"
SPIEGEL ONLINE: Warum hat er ihn verdient?
Wieczorek-Zeul: Die Mikrokredite sind ein wichtiges Instrument, um Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst aus der Armut herauszuarbeiten, um Frauen eigenständiger zu machen und um in ländlichen Regionen Beschäftigung zu generieren. Ich habe viele konkrete Beispiele gesehen, die Schule machen sollten. Gerade vor vier Wochen habe ich in Marokko die dortige Unternehmerin des Jahres kennen gelernt. Die hat mit einem Mikrokredit angefangen und beschäftigt heute zwanzig Frauen. Ende des Auszugs.
Die deutsche Entwicklungspolitik verlief grundsätzlich über Regierungen. Privatinitiativen oder direkte Hilfe an eine Bevölkerung hatten keine Chance gefördert zu werden. Die Entwicklungspolitik sollte zugleich deutschen Interessen dienen. Sie durfte nicht allein humanitär sein. Sie durfte vor allem die Repräsentanten eines Staates nicht umgehen.
Ein großer Teil der deutschen Entwicklungshilfe ging an China. Die Wirtschaftsbeziehungen sollten auf diese Weise begünstigt werden.
Der Entwicklungsministerin war das Modell der Armenhilfe durch die Grameen-Bank seit Jahren bekannt. In der Deutschen Welle kam gestern die Mitteilung, das deutsche Entwicklungsministerium werde sich daran orientieren.
Mit anderen Worten: erst der Nobelpreis hat das Ministerium bewegt.
Warum kamen das Ministerium und seine Ministerin nicht auf die Idee, das Modell aufzugreifen und eine Deutsche Hilfsbank zu gründen, die statt 20 Prozent Zinsen nur 10 bis 15 Prozent verlangt? Viele deutsche Arbeitslose hätten als Hilfskräfte eines solchen Projektes Arbeit finden können. Die finanzielle Basis hätte sich noch erhöht. Die Hilfe wäre grenzenlos gewesen. Der Gewinn hätte weiteren Entwicklungsprojekten dienen können.
Warum mussten Korruption und Staatsbestechung Vorschub geleistet werden? Warum war es nicht möglich, eine vorhandene Idee aufzugreifen? Deutschland wird auf Geheiß des Bundespräsidenten als "Land der Ideen" tituliert. Nicht als ein Land der Ideen, nicht als Land mit Ideen, sondern als Land der Ideen.
Die Entwicklungsministerin hat einen Preis für Ideenlosigkeit hoch verdient. Dieser wird ihr von hier aus ehrenvoll vergeben.
Diese Preisverleihung begründet sich auf eine gewisse Kompetenz.
1. Der Hauptverbrecher Westafrikas Charles Taylor sitzt jetzt hinter Gittern in Den Haag. Beteiligung im CNN-Forum und im Liberia-Forum von Africa-Online, sowie die Veröffentlichung eines entlarvenden Artikels "Chucky did it" in den USA waren kleine Bausteine, um eine Vertreibung des Verbrechers aus Liberia zu erreichen.
2. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Liberia entstand die Idee eines Musterhauses für das tropische Afrika, das in Selbsthilfe gebaut werden kann und örtliche Materialien verwendet. Der Typus ist das Gegenteil des europäischen "Fenster-Hauses", das für Afrika extrem ungeeignet ist, aber seit der Kolonialzeit unsinnigerweise generell eingeführt und immer wieder kopiert und nachgeahmt wurde.
Die Idee der Grameen Bank hatte in meinen Internetveröffentlichungen ein Pendant, nämlich durch Vorarbeiter in kleinen Entwicklungsprojekten Anschübe zur Selbsthilfe zu geben. Der Haustyp sollte dabei eine Rolle spielen.
Diese konkrete Idee war nicht aufgegriffen worden. Im Gegensatz zur Grameen-Bank fehlte die Erfolgsgeschichte einer solchen Idee. Die Grameen-Bank hilft bei handwerklichen Existenzgründungen, die Idee des Musterhauses sollte familiäre Stabilität geben und einen Schutz gegen leicht bewaffnete Banden mit den äußerst grausamen und kriminell zugerichteten Kindersoldaten geben.
Wenn eine erfolgreiche Idee nicht aufgegriffen wurde, ein Entwicklungsministerium dafür keine Antennen hatte, bestand erst recht keine Hoffnung, dass eines Tages die Musterhaus-Idee aufgegriffen werden würde.