von micha » Mo Jan 23, 2006 06:16:39:
Du hast mir ja mal erzählt, liebe dido, dass Du absurdes Theater inszeniert und gespielt hast. Deine Kritiken in der Regensburger Presse waren hervorragend! Vielen Dank, dass Du sie mir mal gemailt hast.
Absurd ist Vieles, das in unserer Gesellschaft geschieht. Neulich sprach ich mit einem evangelischen Pfarrer hier in Thailand, der mich zu sich an den Tisch bat. Er erzählte von seinen Stellen als Pfarrer im Ausland, dass er immer unterwegs gewesen sei und im nächsten Jahr eventuell eine Stelle in Thailand bekäme. Auch berichtete er von seiner Jugendarbeit. Das Zusammenwirken mit Jugendlichen sei für ihn eine Art Erfüllung.
Nein pädophil sei er nicht, erzählte von der einen oder anderen Verbindung zu Frauen. In der Gruppenarbeit suche er Lebensqualität für die Gruppenmitglieder zu verbessern. Dann stellte sich heraus, dass er auf dem gleichen Gymnasium war wie Oskar Lafontaine, dass er Griechisch, Hebräisch und Latein hatte. Ich wollte seinen Redefluss nicht unterbrechen, erzählte dann aber doch eine kleine Begebenheit aus der gleichen Imbissecke des Kaufhauses, in der wir gemeinsam an einem Tisch saßen.
Ich erzählte ihm, einen interessanten Amerikaner getroffen zu haben, der ein wenig aussah wie Steven Spielberg, den ich sehr verehre. Er saß dort am Tresen. Neben sich hatte er einen Papagei. Dieser saß auf der Lehne des nächsten Hockers und machte sich mit seinem Gefieder zuschaffen, benahm sich ganz wie ein menschlicher Gast. Sein Freund, der Amerikaner, verschwand aufs Örtchen, kein Problem. Der Vogel blieb sitzen, war es gewohnt, kurz allein gelassen zu werden und kümmerte sich um seine eigene Toilette, wenn nicht kurz um andere Leute, die kamen und gingen.
Sein Gefieder war nicht gestutzt. Er hätte wegfliegen können, sinnierte ich. Dann kam der Amerikaner zurück, wieder war das Paar zusammen, das offenbar das Leben gemeinsam genoss.
Dieser Genuss zog mich an, sprach mit dem Amerikaner, als er aufgestanden war und unmittelbar an mir vorbei kam. "Sie scheinen sich beide gut zu verstehen", leitete ich die Unterhaltung ein. "Ja, wir lieben die Freiheit", antwortete er, "ich heiße übrigens Dann, mein Papagei Kanani". So stellten wir uns vor.
"Wir Amerikaner lieben die Freiheit, sie gönne ich auch meinem Kanani. Er ist zufrieden und glücklich."
Nun bekamen die Farben des Vogels noch mehr Leuchtkraft als zuvor. Welch ein Bild! Ganz nahe hob ich leicht meine Hand und spürte einen Schnabel, der zu einem Gehirn gehörte, das wusste, wann es noch nicht wehtat. Ich ließ ihn. Er erkundete mich auf seine Weise. Währenddessen genoss ich die Schönheit des Bildes neben mir. Schönheit und die Vorstellung von Toleranz, Freundschaft und Freiheit sind nun aber nicht zu übertreffen. Selbst die neu gekürte Miss USA, die sofort nach ihrer Inthronisation fette Pommes Frites verschlang, auf die sie so lange hatte verzichten müssen, kann kaum ein schöneres Bild abgeben. Sie hatte Fähigkeiten gezeigt, tanzte ein Ballett-Stück vor der kritischen Jury, das ist wahr. Die wahre Schönheit hat mit Fähigkeiten zu tun, die sich ganz von allein entfalten, wenn das natürliche Entfalten auch zugelassen wird.
Dem Pfarrer gefiel die Begebenheit. Er selbst liebte die Freiheit, war darum so oft unterwegs gewesen. Seine Sprachbegabung demonstrierte er mit ein paar Worten Thailändisch. Wenn er so sprachbegabt sei, was hielte er denn von dem neuen Wort "Widerwahn", ein Buchtitel, siehe Forum C. Ich assoziiere etwas gegen den Wahn, sagt er. Das meinte ich aber so nicht, gab ich zur Antwort, Widerwahn sei für mich "Widerwahn" wie "widerlich", nicht aber "Wider den Wahn". Damit konnte er sich anfreunden. Mit dem Wort, liebe dido, sind ja absurde Vorgänge in der Gesellschaft gemeint, die wie absurdes Theater ablaufen. Dann nannte ich dem Pfarrer ein paar Beispiele. Dann bekam das Wort Gestalt.
Schönheit kann auf Menschen und Papageien bezogen sein. Unschönheiten beziehen sich zumeist nur auf den Menschen. Um die folgende Begebenheit zu schildern, muss ich mit einer Schönheit beginnen. Sie stieg in ein offenes Sammeltaxi, war wohl Dänin und setzte sich neben mich, weil sonst kein Platz war. Die Gestalt wirkte auf mich wie ein kleiner Elektroschock als Anstoß stiller Bewunderung einer perfekten Schönheit, einer großen jungen weiblichen Gestalt mit frischem Gesicht, aufregend langen Oberschenkeln und meisterlich geformten Füßen. Irgendetwas schien ihr im ersten Moment der zufälligen Begegnung an mir gefallen zu haben, wohl mein zweiteiliger Sommeranzug, jedenfalls schien sie kurz meine Hand auf dem Sitz zu suchen. Einbildung! Einbildung! Einbildung!
Nun hielt das Taxi. Zwei Amerikaner stiegen auf, der eine blieb auf der Stehrampe, der zweite beleibte suchte nach einem Sitz und befand, in unserer Reihe sei noch Platz. Die Leute in Thailand sind sehr freundlich, wollen diese Menschenfreundlichkeit als gute Thai und als Buddhisten, erheben sich im Kino sofort, wenn der Vorfilm über den Thailändischen König gezeigt wird, alle ohne Ausnahme, denn sie lieben hier ihren König, der ihnen so viel Freiheiten gab, über alles, und auch im Taxi sind sie sofort bereit, Respekt zu zeigen, sich etwas zu erheben und Platz zu machen. Aber es entstand nur eine kleine Lücke. Ich warnte den Amerikaner, es sei trotz Bemühen wohl doch nicht genug. Er aber pflanzte sich mit seinem dicken Hintern mit aller Gewalt zwischen mich und die schöne Dänin, die aufstand, als unmittelbar darauf auf der gegenüberliegenden Bank ein Platz frei wurde und sich herübersetzte.
Eigentlich war es eine Blamage für den US-Amerikaner. Auch ich stand auf und stellte mich auf die Stehrampe, so hatte er nun seinen Platz. Das Taxi hielt und die dänische Gruppe mit der Schönheit stieg aus, vor einem sehr vornehmen Hotel, so konnte ich die Länge der Oberschenkel noch kurz mit der Gesamtgestalt vergleichen und mein positives Bild zu guter letzt noch abrunden.
Jetzt bot der Amerikaner seinerseits den Platz neben sich an, denn nun war einiges frei. Ich lehnte schmunzelnd ab, er meinte, er sei ja doch im Urlaub und wolle sich demzufolge gerne auch setzen. Ich meinte vor meinem Ausstieg noch, er habe aber "a very big butt", er solle morgen ausschließlich Früchte essen und kein Bier trinken. Nun hätte ich aber nicht gedacht, dass wegen dieser persönlichen Bemerkung geradezu eine Lastwagenladung an Zustimmung und Liebe über mich ausgeschüttet wurde, denn ich hatte den innersten Wunsch dieses Amerikaners zufällig getroffen. Die Zeit meines Taxi-Ausstiegs war kurz, er gestikulierte voller Zustimmung mir nach, ganz happy, dass sich jemand so ausgiebig mit ihm beschäftigt hatte. Allerdings hätte ich die Lastwagenladung lieber von der Dänin, dachte ich, jedoch, das wäre unnatürlich gewesen, hätte der Schönheit des Augenblicks widersprochen.
Natürlicherweise kann es schon einmal vorkommen, dass eine weibliche Seele einen Lastwagen voller aufgestauter Gefühle ausschüttet, in einem Bruchteil einer hundertsten Sekunde ganz zu Anfang aber nur, denn sie hat fast immer die schöpferische Gabe, die Vorstellung, wie dieser Mann sein könnte, flugs in die Gewissheit umzuwandeln, wie dieser Mann nicht sein kann. Der erste Moment wird regelmäßig von den Männern verpasst, der zweite Moment mit der Rätselhaftigkeit der Frau in Verbindung gebracht. Dann aber ist alles wieder zu spät.
Theoretisch müssten sich die Chancen des ersten Augenblicks wegen der Stauwirkung bei attraktiven Frauen vermehren, denn ritterliche Männer mit Tatkraft im Moment der Entscheidung gibt es kaum noch, der rundbäuchige Typus des Aufsichtsrates, der bedient wird, der gar nicht mehr selbständig handeln kann, dem selbst die Frauen zugeschoben werden oder wegen Geldes zufliegen, weil auch sie aus den hingehaltenen Korruptionstöpfen der umgeleiteten Steuergelder und Energienebenkosten bezahlt werden, ist bereits zu sehr verbreitet. Sie bestimmen den zweiten Moment der Resignation, von dem die Rede war.
Schönheiten und Unschönheiten können sehr dicht beieinander liegen, beide Amerikaner hatten ihre Schönheiten, der eine in Gestalt eines bunten Papagei, der andere an seiner eigenen Gestalt, denn sein dicker Hintern war auch ganz schön.